BGH: Insolvenzbezogene Kündigungsklauseln in Verträgen sind grundsätzlich unwirksam
Mit einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 15. November 2012 hat der Bundesgerichtshof den seit Einführung der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 andauernden Streit über die Wirksamkeit von insolvenzbezogenen Kündigungs- bzw. Lösungsklauseln in Verträgen entschieden.
Hintergrund
Insbesondere bei auf Dauer angelegten Schuldverhältnissen haben die Parteien in der Regel ein Interesse daran, ein Kündigungs- oder sonstiges Lösungsrecht vom Vertrag für den Fall zu vereinbaren, dass die jeweils andere Vertragspartei in die Insolvenz gerät. Entsprechend weit verbreitet waren und sind insolvenzbezogene Kündigungs- und Lösungsklauseln in Verträgen, nach denen ein Kündigungsrecht für den Fall der Insolvenzantragstellung oder -eröffnung eingeräumt wird. In anderen Konstellationen werden an die Insolvenzantragsstellung oder -eröffnung unmittelbare Rechtsfolgen wie etwa die (Rück-)Übertragung von Vermögenswerten geknüpft.
Problematisch sind derartige Klauseln deshalb, weil bei Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer der Vertragsparteien grundsätzlich der Insolvenzverwalter ein so genanntes Erfüllungswahlrecht nach § 103 InsO hat, sofern der Vertrag von beiden Parteien noch nicht vollständig erfüllt ist. Dieses Wahlrecht ermöglicht es dem Verwalter, an günstigen Verträgen festzuhalten und bei ungünstigen Verträgen die weitere Durchführung abzulehnen. Verbleibende Ansprüche kann der Vertragspartner im letzteren Fall dann nur als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle anmelden. Nach § 119 InsO sind Vereinbarungen, durch die die Anwendung unter anderem des Wahlrechts nach § 103 InsO im Vorwege ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam.
Vor diesem Hintergrund wurden insolvenzbezogene Kündigungs- bzw. Lösungsklauseln in der Vergangenheit teilweise für unwirksam gehalten. Nach anderer Auffassung, die sich insbesondere auf die Gesetzgebungsgeschichte berief, sollen entsprechende Vereinbarungen dagegen zulässig sein, sofern der Bestand des Vertrages nicht durch andere Normen der Insolvenzordnung ausdrücklich geschützt wird (vgl. etwa §§ 107, 108, 112 InsO). Unter Geltung der früheren Konkursordnung hat der Bundesgerichtshof etwa die Regelung in § 8 VOB/B bestätigt, die ein Kündigungsrecht des Auftraggebers gegen den Auftragnehmer in dessen Insolvenz vorsieht. Teilweise wird auch nach der Formulierung der entsprechenden Klausel differenziert.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Mit Urteil vom 15. November 2012 hat der für Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sich nunmehr ausdrücklich derjenigen Auffassung angeschlossen, die in einer insolvenzabhängigen Kündigungs- bzw. Lösungsklausel eine Umgehung des Insolvenzverwalterwahlrechts aus § 103 InsO sieht, mit der Folge, dass entsprechende Klauseln in Verträgen unwirksam sind. Konkret betroffen war ein Energielieferungsvertrag; der Bundesgerichtshof nimmt aber ausdrücklich auch auf fortlaufende Verträge über die Lieferung anderer Waren Bezug. Der Sinn des Erfüllungswahlrechts des Insolvenzverwalters sei es, „die Masse zu schützen und im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zu mehren“. Vertragliche Regelungen, mit denen das Wahlrecht unterlaufen werden könnte, widersprächen daher dem Gesetzeszweck. Dies gelte unabhängig davon, ob das Kündigungsrecht bereits an den Insolvenzantrag oder erst die Verfahrenseröffnung anknüpft. Wirksam sei eine entsprechende vertragliche Regelung nur, wenn diese einer gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entspreche.
Für die Vertragspraxis bedeutet dies, dass insolvenzbezogene Kündigungsklauseln in der Regel keinen Schutz vor den Auswirkungen einer Insolvenz des Vertragspartners bieten.
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. November 2012 - IX ZR 169/11)
Dr. Patrick Wolff, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht