Dezember 2021 Blog

Bundesverwaltungs­gericht kippt Berliner Vorkaufs­rechts­praxis

Das Bundesverwaltungsgericht hat der Verwaltungspraxis zur Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts in Gebieten mit sozialen Erhaltungsverordnungen /-satzungen (Millieuschutzverordnung/ -satzung) in seinem viel beachteten Urteil 4 C 1.20 vom 9. November 2021 einen Riegel vorgeschoben.

Sachverhalt

Eine Immobiliengesellschaft hatte im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück erworbenen, das im Anwendungsbereich einer sozialen Erhaltungsverordnung liegt. Diese Verordnungen/Satzungen sollen dem Schutz der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dienen. Zu diesem Zwecke unterwerfen sie z.B. Sanierungs-/ und Umbaumaßnahmen einer besonderen Genehmigungspflicht. Darüber hinaus begründen sie in diesen Gebieten aber auch ein gesetzliches Vorkaufsrecht der Kommunen. Insbesondere in Großstädten hat sich hieraus eine Praxis entwickelt, durch die Ausübung des Vorkaufsrechts aktiv Einfluss auf den Grundstücksverkehr und den Wohnungsmarkt zu nehmen. Dieser Praxis entsprechend hatte auch das Bezirksamt Friedrichhain-Kreuzberg in dem entschiedenen Fall das Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt. Nach eigenen Angaben erfolgte dies, um der Gefahr zu begegnen, dass die Wohnungen im Anschluss an den die Veräußerung saniert und ggf. in Eigentumswohnungen umgewandelt werden und so Teile der Wohnbevölkerung verdrängt werden würden.

Die von der Käuferin gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts gerichtete verwaltungsgerichtliche Klage blieb in den beiden ersten Instanzen zunächst erfolglos. Insbesondere das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gab dem Bezirksamt insoweit recht und argumentierte, dass ohne Ausübung des Vorkaufsrechts die vom Bezirksamt befürchtete Verdrängung stattfinden würde.

Die Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht teilt die Argumentation des Bezirksamts und des Oberverwaltungsgerichts nicht und hat entschieden, dass der Bezirk das Vorkaufsrecht nicht ausüben durfte. Die (bloße) Befürchtung des Bezirksamts, es würde zu Verdrängung kommen, reiche nicht als Rechtfertigung für die Ausübung des Vorkaufsrechts aus. Dies ergebe sich aus den gesetzlichen Regelungen des Baugesetzbuches über das gemeindliche Vorkaufsrecht. Denn nach § 26 Nr. 4 BauGB ist die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn ein Grundstück entsprechend den Zielen einer städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und das Gebäude keine städtebaulichen Missstände oder Mängel aufweise (z.B. gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gewahrt; erhebliche Beeinträchtigung des Ortsbildes bzw. der Nutzung). Die Vorschrift sei eindeutig auf die „tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über das Vorkaufsrecht bezogen“. Diese Vorschrift gelte auch für Grundstücke im Anwendungsbereich von sozialen Erhaltungsverordnungen. Damit lasse es sich nicht vereinbaren, wenn das Vorkaufsrecht deshalb ausgeübt werde, weil das Bezirksamt von zukünftigen erhaltungswidrigen Nutzungsabsichten ausgehe.

Bewertung und Ausblick

Das Bundesverwaltungsgericht hat damit der in Berlin, aber z.B. auch in Hamburg verbreiteten durchaus großzügigen Praxis der Vorkaufsrechtsausübung in Millieuschutzgebieten zunächst einen Riegel vorgeschoben. Auch in diesen Gebieten darf keine Ausübung des Vorkaufsrechts „auf Verdacht“ erfolgen. Da die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen, bleibt abzuwarten, ob weitere Einschränkungen für die Kommunen daraus folgen. So darf man hoffen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen auch dazu äußert, ob die Forderung der Kommunen nach sog. Abwendungsvereinbarungen rechtmäßig ist. Derzeit gibt es nämlich eine Vielzahl von Fällen, in denen Kommunen erst dann auf das Vorkaufsrecht verzichten, wenn sich der Käufer zuvor z.B. dazu verpflichtet, Mieten zu begrenzen. Da auch die Forderung solcher Vereinbarungen regelmäßig auf der behördlichen Annahme fußt, dass ohne vertragliche Regelungen in Zukunft erhaltungswidrige Verdrängungsprozesse einsetzten, lässt sich diese Praxis ebenfalls schwer mit der deutlichen Aussage des Bundesverwaltungsgerichts in Einklang bringen, dass es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts ankomme.

Auch wenn die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen, hat das Urteil auch in Politik und Verbänden bereits ein erhebliches Echo hervorgerufen. Angesichts der Brisanz der Entscheidung für die wiederentdeckte aktive Rolle der Kommunen auf dem Immobilienmarkt verwundert es daher nicht, dass der Hamburgische Senat bereits eine Novelle des Baugesetzbuches und der dortigen Vorkaufsrechtsvorschriften gefordert hat, mit der die bisherige Praxis „legalisiert“ werden soll. Jedenfalls bis dahin werden sich auch die Städte und Gemeinden an die durch das Bundesverwaltungsgericht geschaffene Lage halten müssen.

Dr. Andreas Wolowski, LL.M., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Hamburg

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