Juni 2023 Blog

Das elfte Sank­tions­paket der EU gegen Russland

Auf Vorschlag der Europäischen Kommission und nach Einigung im Ausschuss der Ständigen Vertreter am 21. Juni 2023 hat der Rat der Europäischen Union am 23. Juni 2023 das elfte Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Die entsprechenden Verordnungen wurden noch am selben Tage im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und traten am 24. Juni 2023 in Kraft. Das elfte Sanktionspaket soll in erster Linie die Umgehung bereits bestehender Sanktionen unterbinden. Wir stellen Ihnen die wesentlichen Regelungen des jüngsten Sanktionspakets vor.

Umgehungsgeschäfte sollen verhindert werden

Bestimmte Drittstaaten weisen ein andauerndes, großes Umgehungsrisiko auf, d.h. dass an dort ansässige Wirtschaftsteilnehmer Ströme an gelisteten Gütern, Technologien und Dienstleistungen aus der EU fließen, die ihren Weg mittelbar nach Russland finden. Zu diesen Staaten gehören vor allem der Iran, China, einige Zentralasiatische Staaten und die Türkei. Diese Praxis war grundsätzlich auch vor Inkrafttreten des elften Sanktionspakets verboten, etwa als mittelbare Ausfuhr oder als Verstoß gegen das ausdrückliche Umgehungsverbot. Ein Blick in die Außenhandelsstatistik zeigt jedoch, dass die Verbote ihre Wirkung teilweise deutlich verfehlt haben: Zu beobachten waren mitunter extreme Anstiege der Einfuhrzahlen gelisteter Güter in Drittstaaten, die mit einem Anstieg der Ausfuhrzahlen aus ebenjenen Drittländern nach Russland korrelierten. Um die Wirksamkeit ihrer Sanktionen sicherzustellen, musste die EU sich nun mit der politisch schwierigen Frage auseinandersetzen, wie sie die Umgehung ihrer Sanktionen unterbinden kann, ohne zum Mittel extraterritorialer Sanktionen zu greifen, also Wirtschaftsteilnehmer in Drittstaaten selbst dem EU-Recht zu unterwerfen. Im Kern werden durch das jüngste Sanktionspaket EU-Ausführern (noch) intensivere Sorgfaltspflichten bei der Prüfung ihrer Geschäfte mit Drittstaaten auferlegt und überdies ein neues Instrument eingeführt, wonach ganze Drittstaaten für Exporte kriegswichtiger Güter aus der EU gesperrt werden können, sofern die Umgehung von Sanktionen über den jeweiligen Drittstaat nicht erfolgreich abgestellt werden kann.

Listen von sanktionierten Gütern mit besonders hohem Umgehungsrisiko

Die Europäische Kommission hat – durchaus informell über ihre Website – zwei Listen mit Gütern und Technologien veröffentlicht, die besonders umgehungsgefährdete Güter und Technologien enthalten. Diese Listen sind mit Partnerländern, insbesondere den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich, abgestimmt und können erweitert werden. Hierbei handelt es sich nicht um neue Verbote oder die Erweiterung bestehender Anhänge um zusätzliche Güter und Technologien, sondern um Waren, die bereits sanktioniert sind und als besonders „umgehungsrelevant“ gelten. Diese Güter und Technologien stehen im besonderen Fokus der Europäischen Kommission und der nationalen Zoll- und Vollstreckungsbehörden. Bei der Ausfuhr in Drittstaaten ist daher ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab anzuwenden; es ist mit größter Gründlichkeit das Vorliegen etwaiger „Red Flags“ zu prüfen und die Prüfung ist zu dokumentieren. Darüberhinausgehende, konkrete Hinweise zum Umgang mit diesen Gütern werden EU-Ausführern nicht an die Hand gegeben.

Veröffentlicht wurde zum einen die „List of High Priority Battlefield Items“. Dort aufgeführt sind 38 Dual-Use- und Hochtechnologie-Güter, die in Bezug auf Russland Sanktionen unterliegen, jedoch in der Ukraine in russischen Militärsystemen gefunden wurden. Die Liste erfasst u.a. folgende Güter:

  • elektronische integrierte Schaltungen;
  • elektronische Güter für die drahtlose Kommunikation, satellitengestützte Funknavigation und passive elektronische Komponenten;
  • diskrete elektronische Bauteile, elektrische Stecker und Verbinder, Navigationsgeräte, digitale Kameras und zugehörige optische Bauteile; und
  • Herstellungsausrüstung für die Produktion und Qualitätsprüfung von elektrischen Komponenten und Schaltungen.

Daneben hat die Europäische Kommission eine „Economically Critical Goods List“ veröffentlicht. Hierbei handelt es sich ebenfalls um sanktionierte Güter, die aber in beträchtlichem Umfang über Drittstaaten nach Russland gelangt sind. Diese Liste ist sehr umfangreich und kann ebenfalls erweitert werden. Betroffen sind Güter folgender Warengruppen:

  • Chemikalien (Kapitel 28 des Zolltarifs);
  • Maschinen (Kapitel 84);
  • Elektronik (Kapitel 85);
  • Schifffahrt (Kapitel 89);
  • Optische Geräte und Instrumente (Kapitel 90).

Ein neues Instrument zur Umgehungsunterbindung

Mit dem elften Sanktionspaket neu eingeführt wurde die Option, das Verbot der Ausfuhr von Waren und Technologien, deren Ausfuhr nach Russland gemäß der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verboten ist, auf Drittländer auszuweiten, die besonders anfällig sind, für die Umgehung der EU-Sanktionen genutzt zu werden. Zunächst soll über die Listung weiterer Wirtschaftsteilnehmer des Drittstaats und engere Kooperation mit ihm versucht werden, das Risiko der Umgehung zu beseitigen. Führt dies nicht zum gewünschten Erfolg, kommt als letztes Mittel die Ausweitung bestimmter Sanktionen auf den betreffenden Drittstaat in Betracht. Erforderlich hierfür sind umfangreiche Prüfungen der Europäischen Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, sowie eine technische Analyse der Kommission, welche sowohl entsprechende Handelsdaten als auch die Bemühungen der EU, auf den Drittstaat einzuwirken, umfasst. Zudem sollen betroffene Drittstaaten angehört werden. Am Ende dieses Verfahrens steht die Entscheidung des Rates, der über die Aufnahme des betreffenden Drittlands und der betreffenden Güter oder Technologien einstimmig beschließt. Damit liegt die endgültige Entscheidung – vermittelt über den Rat – bei den EU-Mitgliedstaaten. Aufgrund der hohen prozessualen und inhaltlichen Voraussetzungen ist die neu geschaffene Möglichkeit der Ausweitung von Sanktionen auf Drittstaaten praktisch wohl eher um ein Instrument der Abschreckung.

Erweiterung des Durchfuhrverbots

Eine weitere Maßnahme zur Bekämpfung von Umgehungen ist die Ausweitung des Durchfuhrverbots. Bisher war nur der Transit von Dual-Use-Gütern und Feuerwaffen durch das russische Staatsgebiet verboten. Dieses Durchfuhrverbot gilt nunmehr auch in Bezug auf

  • Güter und Technologien, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung seines Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten;
  • Güter und Technologien, die für die Verwendung in der Luft- oder Raumfahrtindustrie geeignet sind; und
  • Flugturbinenkraftstoffe und Kraftstoffadditive.

Das Transitverbot wird vor allem, aber nicht nur, Spediteure betreffen, die Güter durch russisches Staatsgebiet befördern.

Beschränkung des Zugangs zu EU-Häfen

Schiffen, die an Umladungen zwischen Schiffen beteiligt sind, soll der Zugang zu Häfen und Schleusen im Hoheitsgebiet der EU verwehrt werden, wenn die zuständige Behörde vernünftigen Grund zur Annahme hat, dass das Schiff gegen das Verbot der Einfuhr russischen Rohöls und russischer Erdölerzeugnisse verstößt oder entsprechende Produkte befördert, die zu einem Preis oberhalb der von den G7 vereinbarten Preisobergrenze erworben wurden. Vom Verbot des Zugangs zu Häfen und Schleusen auf dem Hoheitsgebiet der EU betroffen sind auch Schiffe, bei denen die zuständige Behörde vernünftigen Grund zur Annahme hat, dass sie ihr automatisches Schiffsidentifizierungssystem illegal stören, abschalten oder auf andere Weise deaktivieren, wenn sie russisches Rohöl oder russische Erdölerzeugnisse befördern.

Beschränkungen des geistigen Eigentums

Bestimmte Handlungen in Bezug auf das geistige Eigentum an Gütern, die einem Verkaufs- und Ausfuhrverbot unterliegen, werden nunmehr ebenfalls sanktioniert. Im Zusammenhang mit solchen Gütern ist demnach verboten:

  • der Verkauf von Rechten des geistigen Eigentums oder von Geschäftsgeheimnissen;
  • die Erteilung von Lizenzen oder jede anderweitige Weitergabe; sowie
  • die Gewährung von Rechten auf Zugang zu oder Weiterverwendung von Materialien oder Informationen, die durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind oder Geschäftsgeheimnisse darstellen.

Auch dieses Verbot dient dem Zweck, Umgehungen zu unterbinden: Können Rechte an gelisteten Gütern nicht verkauft werden oder Lizenzen nicht erteilt werden, verringert dies die Gefahr, dass die Güter in Russland nachgebaut bzw. eingesetzt werden.

Erstreckung der korrespondierenden Dienstleistungs-, Finanzierungs- und Lizenzverbote auf Luxusgüter

Vor Einführung des elften Sanktionspakets galt nur ein unmittelbares und mittelbares Verkaufs-, Liefer-, Verbringungs- und Ausfuhrverbot in Bezug auf Luxusgüter nach Art. 3h Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014. Im Gegensatz zu anderen Verbotsnormen, wurden diese „Hauptverbote“ bisher nicht von akzessorischen Verboten, etwa bezogen auf die Erbringung technischer Hilfe, die Vermittlung oder die Bereitstellung finanzieller Mittel im Zusammenhang mit den gelisteten Gütern, flankiert. Nun wurde diese Lücke geschlossen: Es ist nunmehr verboten, für natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland

  • unmittelbar oder mittelbar technische Hilfe, Vermittlungsdienste oder andere Dienste im Zusammenhang mit den Gütern nach Absatz 1 und mit der Bereitstellung, Herstellung, Wartung und Verwendung dieser Güter zu erbringen (Art. 3h Abs. 2 lit. a n.F.);
  • unmittelbar oder mittelbar Finanzmittel oder Finanzhilfen im Zusammenhang mit Gütern nach Absatz 1 für jeglichen Verkauf, jegliche Lieferung, Verbringung oder Ausfuhr dieser Güter oder für damit verbundene technische Hilfe, Vermittlungsdienste oder andere Dienste bereitzustellen (Art. 3h Abs. 2 lit. b n.F.); und
  • im Zusammenhang mit den in Absatz 1 genannten Gütern und Technologien oder der Bereitstellung, Herstellung, Wartung und Verwendung dieser Güter und Technologien unmittelbar oder mittelbar Rechte des geistigen Eigentums oder Geschäftsgeheimnisse zu verkaufen, Lizenzen dafür zu erteilen oder solche Rechte und Geheimnisse anderweitig weiterzugeben sowie Rechte auf den Zugang zu oder die Weiterverwendung von Materialien oder Informationen zu gewähren, die durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind oder Geschäftsgeheimnisse darstellen (Art. 3h Abs. 2 lit. c n.F.).

Die praktische Bedeutung dieser Verbotserweiterung ist nicht zu unterschätzen, zumal eine Vielzahl unterschiedlicher Güter im Anhang XVIII gelistet ist, u.a. Uhren, elektrische Haushaltsgeräte, Fahrzeuge, Lederwaren, Parfüms, Musikinstrumente, sowie Artikel und Ausrüstung für Freizeitsport. Zu beachten ist, dass die Verbote nur greifen, wenn das betroffene Luxusgut einen Wert von 300 EUR je Stück übersteigt, sofern im Anhang XVIII nichts Anderes vorgesehen ist. Eine höhere Wertgrenze gilt etwa für elektronische Artikel für den häuslichen Gebrauch (Wert von mehr als 750 EUR), oder Luxusfahrzeuge (Wert von mehr als 50.000 EUR/Stück).

Erweiterung der Güterlisten

Das elfte Sanktionspaket führt zudem weitere güterbezogene Beschränkungen ein, indem es vor allem den Anhang XXIII der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 um zusätzliche Industriegüter erweitert. Danach gilt ein Verkaufs- und Ausfuhrverbot nach Art. 3k der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 etwa für Elektro- und Hybridfahrzeuge, verschiedene Erzeugnisse aus Kautschuk (Luftreifen), Dampfkessel und Gießmaschinen sowie verschiedene Mess- und Prüfgeräte. Hier ist im Einzelnen zu prüfen, ob ein bereits vor dem 24. Juni 2023 geschlossener Vertrag noch auf Grundlage einer „Altvertragsregelung“ bis zum 25. September 2023 vollzogen werden darf.

Es wurde zudem Anhang VII Teil A und Teil B um einige Positionen ergänzt und damit die Verbote des Art. 2a Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ausgeweitet. Beispielhaft zu nennen sind folgende neu hinzugekommene Positionen:

  • Teil A: X.B.I.003; X.B.I.004; X.C.I.002, X.D.I.002, X.E.I.002. Diese Positionen stehen allesamt im Zusammenhang mit gedruckten Schaltungen (PCB).
  • Teil B:
    • Elf weitere Positionen unter „Elektronische integrierte Schaltungen, Fertigungs- und Prüfgeräte“,
    • Einführung der Nr. 6 „Energetische Materialien und Ausgangsstoffe“: Halbstoffe aus der Aufbereitung von Abfällen und Ausschuss von Papier oder Pappe oder aus anderen cellulosehaltigen Faserstoffen: aus Baumwoll-Linters (KN Code 4706 10),
    • Einführung der Nr. 7 „Elektronische Geräte, Module und Baugruppen“, welche insgesamt acht Waren mit Zolltarifnummern der Kapitel 84, 85 und 90 umfasst.

Zudem wurden die Feuerwaffen erweitert (neuer Anhang XXXV).

Nachweispflichten für Eisen- und Stahlerzeugnisse

Auf Ebene des Imports wird noch einmal klargestellt, dass besondere Nachweispflichten für die Einfuhr von Eisen- und Stahlerzeugnissen, die in einem Drittland unter Verwendung von Eisen- und Stahlerzeugnissen mit Ursprung in Russland verarbeitet wurden, gelten.

Personenbezogene Beschränkungen

Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 wird um 71 Einzelpersonen und 33 Unternehmen erweitert. D.h. insbesondere, dass diesen weder mittelbar noch unmittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden dürfen. Bei den neu hinzukommenden Unternehmen handelt es sich unter anderem um zwei Banken sowie Unternehmen der russischen Rüstungsindustrie wie Hersteller von Drohnen, Flugkörperabwehrsystemen, Militärfahrzeugen und Hightech-Komponenten für Waffen.

Weitere 87 Unternehmen – darunter zehn aus Drittstaaten – wurden in Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 aufgenommen. Damit gelten ihnen gegenüber verschärfte exportkontrollrechtliche Vorgaben für Dual-Use-Güter und fortgeschrittene Technologien. Dies betrifft nicht nur russische und iranische Organisationen, sondern auch solche, die in China, Usbekistan, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Syrien und Armenien registriert sind. Diese Unternehmen stehen im Verdacht, sanktionierte Güter aus der EU an Russland weiterzuliefern.

Handlungsempfehlungen

Der starke politische, öffentliche und rechtliche Fokus auf Sanktionsumgehungen über risikobehaftete Drittstaaten bleibt nicht ohne Folgen für die tägliche Wirtschaftspraxis. Wer gelistete Güter in kritische Drittstaaten ausführt oder aus diesen Staaten einführt, muss einen besonders hohen Sorgfaltsmaßstab an die Überprüfung seines Geschäftspartners und die eigene Vertragsgestaltung anlegen. Bestehende Compliance-Systeme sollten zügig an die neuen Regelungen angepasst werden. Zu empfehlen ist insbesondere ein umfangreiches Sanktionslistenscreening des Geschäftspartners, gründliche Prüfung etwaiger „Red Flags“, lückenlose Dokumentation der eigenen Prüfung und ggf. die Aufnahme von Vertragsklauseln, die die Weitergabe von sanktionierten Gütern nach Russland ausschließen, Informationspflichten über den Verbleib von Gütern enthalten, sowie Vertragsstrafen für den Fall der Zuwiderhandlung vorsehen.

Zudem ist es im Außenwirtschaftsverkehr Aufgabe des Ausführers, sich laufend über die geltenden Verbote und Beschränkungen zu informieren, was auch zur Vermeidung fahrlässiger Verstöße gegen EU-Sanktionen geboten ist. In diesem Kontext ist zu betonen, dass Bußgelder wegen etwaiger Sanktionsverstöße schon ab Inkrafttreten des jeweiligen Verbots verhängt werden können.  Es gibt grundsätzlich keine Karenzzeit, in der Behörden von einer Verfolgung absehen würden. Bei güterbezogenen Beschränkungen – etwa Ausfuhrverboten –, die neu eingeführt wurden, sind im Einzelfall Altvertragsregelungen zu prüfen, nach denen die Vertragserfüllung bis zum 25. September 2023 ausnahmsweise zulässig sein kann.

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