Eingeschränkte Haftung des Abschlussprüfers?
Fällt der Bilanzgewinn einer Gesellschaft aufgrund unrichtiger Rechnungslegung höher aus und hätte der Abschlussprüfer dies bei pflichtgemäßem Verhalten erkennen können, ist er zum Ersatz des „zu viel“ ausgeschütteten Bilanzgewinns verpflichtet. Seine Ersatzpflicht besteht aber nur insoweit, wie der zu viel ausgeschüttete Bilanzgewinn nicht von den Gesellschaftern zurückverlangt werden kann.
Sachverhalt
Die klagende und in Abwicklung befindliche Kommanditgesellschaft nahm ihren Abschlussprüfer auf Schadenersatz in Anspruch. Dieser habe bei der Bewertung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen pflichtwidrig Einzelwertberichtigungsabschläge ohne hinreichende Nachfragen und Prüfungen übernommen. Daher sei ein zu hoher Bilanzgewinn ausgewiesen worden und der Klägerin wegen entsprechender Entnahmen der Gesellschafter ein erstattungsfähiger Schaden entstanden. Der beklagte Abschlussprüfer hatte jede Pflichtwidrigkeit bestritten und vorgetragen, die Klägerin habe den angeblichen Vermögensschaden bereits nicht hinreichend dargelegt.
Entscheidung
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und auch der 10. Senat des OLG Frankfurt am Main gab dem Abschlussprüfer Recht. Dabei ließ der Senat explizit offen, ob überhaupt eine Pflichtverletzung vorgelegen hat. Denn selbst wenn der Bilanzgewinn der Klägerin aufgrund einer unrichtigen Rechnungslegung „zu hoch“ ausgefallen sein sollte und der Prüfer dies bei pflichtgemäßem Handeln hätte erkennen können, bestehe eine Ersatzpflicht nur insoweit, wie ein etwa zu viel ausgeschütteter Bilanzgewinn nicht von den Gesellschaftern zurückverlangt werden kann. Denn Kommanditisten haben nur Anspruch auf Auszahlung des ihnen zukommenden, auch tatsächlich erwirtschafteten Gewinns. Die Klägerin habe jedoch weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass sie Rückforderungsansprüche gegen ihre Kommanditisten geltend gemacht hat. Ihren Vortrag dahin, dass wegen der Insolvenz die Werthaltigkeit ihrer Rückforderungsansprüche gegen die Gesellschafter fraglich sei, ließ der Senat nicht gelten: Die Insolvenz der Klägerin besagte schließlich nichts zur Werthaltigkeit von Ansprüchen gegen ihre Gesellschafter.
Anmerkung und Praxistipp
Die zentrale Begründung des Senats für die Zurückweisung der Berufung übernimmt eine in der Literatur zu § 323 Abs. 1 HGB vertretene Auffassung, wonach die Ersatzpflicht des Abschlussprüfers nur insoweit bestehen soll, wie der zu viel ausgeschüttete Bilanzgewinn nicht von den Gesellschaftern zurückverlangt werden kann (zur Anwendung gelangt § 323 Abs. 1 HGB auf die vorliegend gegebene Kommanditgesellschaft über die Verweisung in § 264a Abs. 1 HGB).
Zu überzeugen vermag die vorliegende Entscheidung mit ihrer Risikoverlagerung auf die Gesellschaft jedoch nicht. Zwar ist richtig, dass der erstattungsfähige Vermögensschaden im Sinne des § 249 Abs. 1 S. 1 BGB nach der Differenzhypothese zu bestimmen ist: Danach wird das Vermögen nach Eintritt der Pflichtverletzung mit der hypothetischen Alternativsituation verglichen, die bestünde, wenn es nicht zur Pflichtverletzung gekommen wäre, wobei eine bloße Gefährdung des Vermögens nicht ausreichend ist. Wenn also infolge einer (unterstellten) Pflichtverletzung des Abschlussprüfers ein überhöhter Gewinn ausgeschüttet wird, im selben Moment aber Rückgriffansprüche gegen die Gesellschafter entstehen, so wohl die Überlegung des Senats, bleibe das Vermögen der Gesellschaft auf dem Papier der Höhe nach gleich: Die auszuschüttenden Finanzmittel seien lediglich durch gleichzeitig entstandene Regressforderungen gleicher Höhe ersetzt worden. Erst wenn also feststeht, dass ein Rückgriff den Ausschüttungsverlust nicht in gleicher Höhe zurückbrächte, läge daher ein erstattungsfähiger Vermögensschaden vor.
Indes: Die Haftungsvorschrift des § 323 Abs. 1 HGB gibt eine solche Haftungseinschränkung bereits vom Wortlaut nicht her. Dagegen spricht auch die Gesetzessystematik: Denn in § 323 Abs. 2 HGB werden ausdrücklich bestimmte Haftungsbeschränkungen angeordnet, ohne dass aber die hier vorliegende Konstellation dabei bedacht worden wäre. Der vom Senat der Sache nach vorgenommenen Anrechnung der Rückforderungsansprüche auf die vollzogenen Auszahlungen steht auch folgender Befund entgegen: Im Rahmen der in § 93 Abs. 3 Nr. 2 AktG geregelten aktiengesetzeswidrigen Auszahlung von Gewinnanteilen an Aktionäre begreift der Gesetzgeber trotz Entstehens entsprechender Rückzahlungsansprüche bereits den reinen Vermögensabfluss als Schaden. Selbst werthaltige Ansprüche auf Rückzahlung der Mittel bleiben also bei der im Schadensrecht anzustellenden wertenden Gesamtvermögensbetrachtung außer Betracht. Das entspricht im Übrigen regelmäßig der Schadensbestimmung im Rahmen des sogenannten normativen Schadens. Dahinter steht die Überlegung, dass Regressansprüche des Geschädigten gegen Dritte den Schädiger in aller Regel gerade nicht entlasten sollen. Die Betrachtungsweise des Senats ist daher jedenfalls zweifelhaft. Sie bürdet der Gesellschaft unsachgemäß Last und Risiko auf, gegebenenfalls die Durchsetzung ihrer Rückgriffansprüche gegen die Gesellschafter (kostenpflichtig) einleiten und hierbei erfolglos sein zu müssen, bevor sie von ihrem pflichtwidrigen Abschlussprüfer Ersatz erwarten kann.
Bis zu einer Klärung ist der klagenden Gesellschaft daher zu empfehlen, Schadenersatzansprüche gegen den Abschlussprüfer Zug-um-Zug gegen die Abtretung der Regressansprüche gegen die Gesellschafter geltend zu machen.
(OLG Frankfurt 10. Zivilsenat, Beschl. v. 04.10.2023, Az. 10 U 194/21)