Juli 2023 Blog

Europäische Gesund­heits­union: Reform des Euro­päi­schen Arznei­mittel­marktes

Dynamischer, flexibler und stärker an den Bedürfnissen der Menschen und der Arzneimittelindustrie orientiert, so beschreibt die Europäische Kommission selbst in einer Pressemitteilung ihre Reformpläne, in deren Folge das europäische Arzneimittelrecht den größten Umbruch seit über 20 Jahren erleben soll. Dafür legte sie am 26.04.2023 einen Entwurf zur Arzneimittelreform vor.

Zu einem der davon betroffenen Aspekte – der Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen in Europa – haben sowohl das Europäische Parlament am 01.06.2023 als auch der Rat am 13.06.2023 bereits mit weiteren Maßnahmen reagiert. So verabschiedete der Rat bereits eine Empfehlung zur Intensivierung der EU-Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“.

Ziele sind insbesondere die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der europäischen Arzneimittelindustrie sowie die Verbesserungder Versorgung mit Arzneimitteln für die Verbraucher. Letztere sollen in allen Ländern Europas leichteren Zugang zu erschwinglicheren und innovativen Arzneimitteln erhalten.

Hintergrund

Der Entwurf geht zurück auf die im Angesicht der Schwierigkeiten in der Corona-Pandemie am 25.11.2020 von der Europäischen Kommission veröffentlichte Arzneimittelstrategie für Europa. Mit dieser Strategie soll der europäische Arzneimittelsektor besser auf Krisen vorbereitet und resilienter gestaltet werden. Ziel einer einheitlichen Arzneimittelstrategie ist die Gewährleistung der Zugänglichkeit, Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Arzneimitteln.  

Das nunmehr vorgeschlagene Reformpaket ist der erste Schritt zur Umsetzung einer ehrgeizigen Agenda mit legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen. Es umfasst u.a. eine Neufassung der Richtlinie zum Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (Richtlinie zur Schaffung eines Unionskodexes für Humanarzneimittel und zur Ablösung der Richtlinien 2001/83/EG und 2009/35/EG) sowie die Modifizierung und Ablösung der Verordnungen zur Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln (Verordnung (EG) Nr. 726/2004), Arzneimittel für seltene Leiden (Verordnung (EG) Nr. 141/2000) sowie Kinderarzneimittel (Verordnung (EG) Nr. 1901/2006).

Mit der Reform sollen

  • zugunsten der Patientinnen und Patienten ein Binnenmarkt für Arzneimittel geschaffen werden
  • zugunsten von Forschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln in Europa ein attraktives und innovationsfreundliches Umfeld geschaffen werden
  • zugunsten sowohl der Unternehmen als auch der Patientinnen und Patienten eine erhebliche Verringerung des Verwaltungsaufwands durch Beschleunigung der Verfahren und kürzere Zulassungszeiten für Arzneimittel erreicht werden
  • die europaweite Verfügbarkeit von Arzneimitteln gesichert werden 

Kernelemente der Arzneimittelrechtsreform

Einen wesentlichen Beitrag zur Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit soll die Schaffung eines effizienteren und vereinfachten Rechtsrahmens leisten. Unter Beibehaltung der höchsten Qualitäts-, Sicherheits- und Wirksamkeitsstandards soll durch beschleunigte Zulassungsverfahren und verringerten Regelungsaufwand ein innovationsfreundliches Regelungsumfeld geschaffen werden.

Hierfür soll die durchschnittliche Prüfzeit im Zulassungsverfahren der Europäischen Arzneimittel-Agentur (nachfolgend EMA) von derzeit rund 400 auf etwa 180 Tage, im beschleunigten Verfahren sogar auf 150 Tage reduziert werden. Zum Vergleich: Der Zulassungsschnitt in den USA liegt derzeit bei rund 240 Tagen. Erste Rückmeldungen aus der Praxis zeigen, dass neben Patientenorganisationen auch die Industrie diese geplante Beschleunigung der Zulassungsprozesse begrüßt, allerdings auch auf weitere Optimierungsmöglichkeiten verweist.  

Gerade von den Unternehmen eher kritisch gesehen wird hingegen der weitere Vorschlag der Europäischen Kommission, mit einer flexibleren Gestaltung des rechtlichen Datenschutzes von bis zu 12 Jahren wirksame Innovationsanreize zu schaffen. Der geänderte rechtliche Rahmen umfasst u.a. eine Verkürzung des bisherigen Schutzes vor der Herstellung von Generika und Biosimilars auf grundsätzlich nur noch acht Jahre. Eine Verlängerung auf bis zu 12 Jahre soll nur noch unter folgenden Voraussetzungen in Betracht kommen:

  • das Arzneimittel wird in sämtlichen Mitgliedstaaten auf den Markt gebracht,
  • damit werden ungedeckte medizinische Bedarfe befriedigt,
  • es werden vergleichende klinische Prüfungen durchgeführt, oder
  • es wird eine neue therapeutische Indikation entwickelt.

Die Europäische Kommission möchte damit einen „Binnenmarkt für Medikamente“ schaffen und mit der frühzeitigeren Zulassung der Herstellung von Generika und Biosimilars sicherstellen, dass alle Patienten in der gesamten EU einen zeitnahen Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Arzneimitteln haben, weil dadurch die Verfügbarkeit von Arzneimitteln in der EU verbessert werden soll.

Hersteller beurteilen die verkürzte Schutzfrist allerdings deutlich kritischer und fürchten die damit verbundene Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen und deutschen Pharmastandorts. Der reduzierte Schutzzeitraum führe zu einer Demotivierung der Unternehmen, kostenintensive Forschung für neue Medikamente weiterhin in Europa zu betreiben. Damit werde die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den USA verringert und ein möglicher Trend zur Rückentwicklung Europas als Standort für Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsinvestitionen beschleunigt. Insbesondere könne der Verlängerungsanreiz durch die Vermarktung in allen Mitgliedstaaten den reduzierten Innovationsanreiz infolge der gesunkenen Mindestschutzfrist nicht ausgleichen.   

Zur Überwachung von Arzneimittelengpässen soll der EMA eine stärkere Koordinierungsrolle zukommen. Die Meldepflichten für Unternehmen über Engpässe und Arzneimittelrücknahmen werden verstärkt, auch die Entwicklung und Pflege von Engpasspräventionsplänen soll zu den unternehmerischen Pflichten gehören. Mittels einer EU-weiten Liste kritischer Arzneimittel sollen Schwachstellen in der Lieferkette bewertet und aktiv behoben werden.

Wie eingangs beschrieben ist auch die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen (AMR) ein Hauptziel der Europäischen Kommission. AMR sind „Veränderungen von Mikroorganismen, die zu einer weniger wirksamen oder unwirksamen Behandlung von Infektionen führen“ und eine erhebliche Gesundheitsgefahr in der EU. U.a. durch die Einführung eines Gutscheinsystems sollen Unternehmen motiviert werden, in neuartige antimikrobielle Mittel zur Behandlung resistenter Krankheitserreger zu investieren.  

Fazit

Die von der Europäischen Kommission verfolgten Ziele adressieren vorhandene Probleme in der Versorgungsinfrastruktur. Spätestens durch die Corona-Pandemie wurde sichtbar, dass eine unabhängige und schnelle Arzneimittelversorgung europaweit essentiell ist.

Die vorgesehene Schaffung von Anreizen für Forschung und Entwicklung sowie die Beschleunigung von Zulassungsverfahren sind erste Ansätze zur Lösung von Lieferengpässen und einer Unterversorgung einzelner Mitgliedsstaaten, die im Interesse eines erfolgreichen Europäischen Arzneimittelmarktes jedoch weiter optimiert werden sollten.

 

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