Fehlmengen bei grenzüberschreitender Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren
Entstehen bei grenzüberschreitenden Transporten Verbrauchsteuern, weil weniger Ware ankommt als verladen wurde, ist oft unklar, wo genau die Fehlmenge aufgetreten ist und folglich, welchem Mitgliedstaat der Steueranspruch zusteht. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seinem jüngsten Grundsatzurteil vom 28. Januar 2016 zwar Rechtsklarheit geschaffen, allerdings nicht unbedingt im Sinne der Unternehmen.
Die grundsätzliche Bedeutung des Urteils lässt sich schon an der Geringfügigkeit des Streitwerts ermessen. Vordergründig stritten die Klägerin, ein großes deutsches Mineralölunternehmen, und das beklagte Hauptzollamt um sage und schreibe 24,93 EUR – an sich kaum ein Betrag, der einen mehrjährigen Rechtsstreit bis zum BFH mit anschließendem Gang nach Luxemburg zu rechtfertigen scheint. Wirtschaftlich ging es daher auch um etwas anderes, nämlich Rechtssicherheit bezüglich der Entstehung von Verbrauchsteuern bei grenzüberschreitenden Beförderungen unter Steueraussetzung. Das Urteil des EuGH enthält hierzu für die Praxis wichtige Klarstellungen.
Gerade bei der Beförderung von flüssigen verbrauchsteuerpflichtigen Waren (Öl, Branntwein, etc.) können zwischen der am Abgangsort aufgeladenen und der am Empfangsort eingetroffenen Menge geringfügige Abweichungen auftreten, ohne dass sich aufklären lässt, wann, wo und unter welchen Umständen sich die Fehl-menge ergeben hat. Dies ist dann von Bedeutung, wenn die Waren „unter Steueraussetzung“ befördert werden, z.B. vom Ort der Einfuhr in ein Steuerlager oder als Transitlieferung. In einem solchen Beförderungsverfahren entsteht keine Verbrauchsteuer. Kommt allerdings weniger Ware am Bestimmungsort an als ursprünglich verladen wurde, wird die Fehlmenge als „entnommen“ angesehen– dann kann hierfür die Verbrauchsteuer entstehen.
Problem: Wo ist die Steuer entstanden?
Da die Fehlmenge in aller Regel erst bei Entladung festgestellt wird, gab es bei grenzüberschreitenden Beförderungen bisweilen Streitigkeiten darüber, welchem EU-Mitgliedstaat die Verbrauchsteuer wegen der „Entnahme“ aus dem Steueraussetzungsverfahren zustand. Für die Unternehmen war dies besonders lästig, wenn es sich – wie auch im durch den EuGH entschiedenen Fall – um Kleinstbeträge handelte, die in keinem Verhältnis zum administrativen Aufwand standen. Denn die Finanzbehörden der EU-Mitgliedstaaten interpretierten die Verbrauchsteuersystemrichtlinie (Richtlinie Nr. 2008/118/EG vom 16. Dezember 2008) durchaus unterschiedlich: Einige Finanzverwaltungen waren der Auffassung, dass bei Unklarheit über den Ort der „Entnahme“ die Verbrauchssteuer im Abgangsstaat entstanden sei, andere wiesen den Steueranspruch dem Empfangsstaat zu.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat den „Streit“ mit seinem Urteil vom 28. Januar 2016 jetzt zu Gunsten der jeweiligen Empfangsstaaten gelöst. Das Steueraussetzungsverfahren werde laut EuGH erst nach vollständiger Entladung und Feststellung der Fehlmenge beendet. Tritt zuvor eine Unregelmäßigkeit auf, die zur Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr führt, habe demnach der Mitgliedstaat Anspruch auf die Steuer, in dem die Unregelmäßigkeit entdeckt wird – es kommt also in aller Regel auf die Mengenfeststellung im Empfangsmitgliedstaat an. Die deutsche Regelung in § 14 Abs. 3 EnergieStG könne unionsrechtskonform so ausgelegt werden, dass sie Unregelmäßigkeiten betreffe, die zur Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr führten.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung ist zu begrüßen, weil sie eine vergleichsweise klare Richtschnur bietet, in welchem Staat Fehlmengen zu versteuern sind. Für die Beförderer wäre es allerdings vorteilhafter gewesen, sie hätten sich an ihre heimische Steuerverwaltung, in der Regel den Abgangsstaat, halten können. Der Aufwand in solchen Fällen dürfte also weiter hoch bleiben, insbesondere dann, wenn mit ausländischen Behörden in den dortigen Sprachen korrespondiert werden muss. Auch weiterhin werden betroffene Unternehmen also eine wirtschaftliche Entscheidung zwischen Aufwand und im Streit stehendem Abgabenbetrag treffen müssen.
(EuGH, Urteil vom 28. Januar 2016, Rs. C 64/15, „BP Europa SE“)
Adrian Loets, LL.M., Rechtsanwalt
Hamburg