Getrennte Betrachtung von Zoll und Einfuhrumsatzsteuer bei unregelmäßiger Zollschuldentstehung
In seinen Schlussanträgen vom 27. Februar 2019 hat der Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona dem Europäischen Gerichtshof in dem Verfahren C-26/18, FedEx gegen HZA Frankfurt a.M. vorgeschlagen, die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer nicht an die Zollschuldentstehung zu knüpfen, wenn feststeht, dass die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf gelangt sind. Folgt der EuGH den Schlussanträgen, wäre dies in bestimmten Fällen unregelmäßiger Zollschuldentstehung von überragender wirtschaftlicher Bedeutung.
Zum gefestigten Wissen aller Praktiker im Bereich Zoll und Einfuhrumsatzsteuer gehört der Grundsatz, dass die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) stets der Entstehung der Zollschuld folgt und zwar auch dann, wenn die Zollschuld nur aufgrund von formellen Verstößen gegen das Zollrecht festgesetzt wird („unregelmäßige Zollschuldentstehung“) und die betroffene Ware überhaupt nicht in den Wirtschaftskreislauf eingegangen ist. Wirtschaftlich hat dies schwerwiegende Konsequenzen: Erstens beträgt die EUSt regelmäßig mindestens 19% des Warenwerts und zwar selbst dann, wenn die Waren zollfrei sind. Zweitens trifft die EUSt bei Verstößen gegen das Zollrecht regelmäßig Spediteure, Lagerhalter und andere Logistikdienstleister, die hinsichtlich der EUSt mangels Verfügungsberechtigung über die Waren nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Und drittens wird die EUSt in vielen Fällen doppelt erhoben: Einmal bei dem Unternehmen, das die Waren zur Überlassung zum freien Verkehr abfertigt, und nochmals bei dem Unternehmen, bei dem – mitunter Jahre später – ein Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften, etwa bei der Abschreibung im Zolllager, festgestellt wird.
Diesen Zusammenhang zwischen der Zollschuldentstehung und der Entstehung der EUSt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei formellen Verstößen gegen Zollvorschriften in den Verfahren Eurogate Distribution/DHL Hub Leipzig (C‑226/14 und C‑228/14) und Wallenborn Transports (C-571/15) gelockert. Der EuGH ging dabei von einer grundsätzlichen Trennung der Entstehung der Zollschuld auf der einen und der Einfuhrumsatzsteuerschuld auf der anderen Seite aus. Die EUSt entstehe bei der unregelmäßigen Zollschuldentstehung nur, wenn aufgrund des Fehlverhaltens die Gefahr bestanden habe, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangten.
In den Schlussanträgen vom 27. Februar 2019 in dem Verfahren C-26/18, FedEx, nutze der Generalanwalt die Gelegenheit, die Voraussetzung der Steuerentstehung hinsichtlich der Gefahr des Gelangens der Waren in den Wirtschaftskreislauf zu präzisieren. In dem Verfahren geht es um Gegenstände, die auf dem Luftweg zunächst im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in die Union gelangten und anschließend nach Griechenland weiterbefördert wurden. Das Verbringen der Gegenstände in die Union verstieß gegen zollrechtliche Vorschriften bzw. die anschließende Weiterbeförderung erfolgte ohne die Überführung in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren. Dadurch war zumindest die Zollschuld unstreitig nach Art. 202 ZK bzw. Art. 203 ZK entstanden.
Das vorlegende Finanzgericht Hessen möchte im Rahmen der Vorlage wissen, ob denn nun die bloße Gefahr des Eintritts in den Wirtschaftskreislauf für die Entstehung der EUSt ausreichend ist oder ob die Entstehung der EUSt ausgeschlossen ist, wenn feststeht, dass kein Eintritt in den Wirtschaftskreislauf erfolgte. Der Generalanwalt führt dazu in seinen Schlussanträgen aus, dass nach seiner Ansicht zwar aus dem zollrechtlichen Fehlverhalten die Vermutung folge, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf gelangten. Stehe aber fest, dass die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf gelangten, biete der Verstoß gegen das Zollrecht allein keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Erhebung der EUSt. Die bloße Gefahr des Eingangs in den Wirtschaftskreislauf genüge nicht.
Sollte der EuGH den Ausführungen des Generalanwalts folgen, würde dies die Möglichkeiten der Wirtschaftsteilnehmer weiter erhöhen, sich bei zollrechtlichen Verstößen gegen die Festsetzung der EUSt erfolgreich zur Wehr zu setzen. Charakteristisch für die Rechtsentwicklung ist jedoch auch, dass die Zollbehörden die Rechtsprechung nicht freiwillig auf vergleichbare Sachverhalte anwenden, sondern die Anwendung von Fall zu Fall vor den Finanzgerichten erstritten werden muss.
Dr. Hartmut Henninger, Rechtsanwalt
Hamburg