Haftung des Scheininhabers eines Unternehmens
Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31. Juli 2012 - II ZR 177/11) kann bei einem unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft ein Dritter aufgrund des von ihm erzeugten Rechtsscheins, er sei Mitinhaber des Unternehmens, für die Erfüllung des darauf beruhenden Vertrages haften.
Entscheidung des Gerichts
Die Entscheidung des Gerichts unterstreicht das Haftungsrisiko einer nicht ordnungsgemäßen Abgrenzung der (i) tatsächlichen Inhaber und (ii) bloßen Arbeitnehmer eines Unternehmens auf Geschäftsbriefen und den sonstigen im Rechtsverkehr genutzten Unterlagen und Dokumenten.
Im vorliegenden Fall machte der Kläger reisevertragliche Rückzahlungsansprüche gegen ein Reiseunternehmen geltend. Dabei war die Beklagte zu 1 die tatsächliche Inhaberin und der Beklagte zu 2 lediglich Angestellter des Unternehmens.
Das Gericht hatte insbesondere darüber zu entscheiden, inwiefern der Beklagten zu 2 gegenüber dem Kläger für die vertraglichen Verbindlichkeiten des Reiseunternehmens haftet. Über das Vermögen der Beklagten zu 1 war während des Rechtsstreites das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Der Kläger hatte den Reisevertrag mit dem Reiseunternehmen abgeschlossen. Nach den Grundsätzen zum unternehmensbezogenen Geschäft war damit die Beklagte zu 1 als tatsächliche Inhaberin des Reiseunternehmens Vertragspartnerin des Klägers geworden, nicht aber der Beklagte zu 2 als nur abhängig Beschäftigter.
Das Gericht bejahte vertragliche Rückzahlungsansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2 allerdings nach den Grundsätzen zur Rechtsscheinshaftung. Die Beklagten hatten im vorliegenden Fall den Eindruck erweckt, der Beklagte zu 2 sei scheinbarer Mitinhaber des Reiseunternehmens. Eine Rechnung/Bestätigung des Reiseunternehmens gegenüber dem Kläger wies als maschinell geschriebene Unterschriftszeile in Druckschrift die Namen der beiden Beklagten aus.
Hintergrund
Die Entscheidung des BGH befasst sich mit dem Verhältnis zweier Rechtsprinzipien zueinander, dem Grundsatz des unternehmensbezogenen Geschäftes sowie dem Institut der Rechtsscheinshaftung.
Das sogenannte unternehmensbezogene Geschäft ist eine Auslegungsregel aus dem Stellvertretungsrecht (§§ 164 - 181 BGB).
Nach dem Stellvertretungsrecht erfordert die wirksame (aktive) Vertretung eines Dritten (i) die Abgabe einer eigenen Willenserklärung, (ii) im fremden Namen und (iii) mit Vertretungsmacht (§ 164 Abs. 1 BGB).
Im Rahmen des Handelns im fremden Namen gilt das sogenannte Offenkundigkeitsprinzip. Danach muss sich - sofern der Handelnde nicht bereits ausdrücklich für den Vertretenen auftritt - zumindest aus den Umständen ergeben, dass der Vertreter nicht im eigenen, sondern im fremden Namen handelt (vgl. § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ergibt sich der Wille des Vertreters, in fremden Namen handeln zu wollen, auch nicht aus den Umständen, so liegt im Zweifel nicht ein Vertreter-, sondern ein Eigengeschäft des Handelnden vor (§ 164 Abs. 2 BGB).
Bei einem unternehmensbezogenen Geschäft geht der Wille der Beteiligten demgegenüber im Zweifel dahin, dass der Inhaber des Unternehmens und nicht der für das Unternehmen Handelnde Vertragspartner werden soll.
Das Institut der Rechtsscheinshaftung hingegen ist ein spezieller Anwendungsfall des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) und damit wiederum eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
Die Rechtsscheinshaftung erfordert (i) das Vorliegen eines Rechtsscheins,
(ii) die Zurechenbarkeit dieses Rechtsscheins zu Lasten des Schuldners sowie
(iii) die Gutgläubigkeit des Gläubigers im Hinblick auf diesen Rechtsschein.
Die wichtigsten Anwendungsfälle der Rechtsscheinshaftung im Handels- und Gesellschaftsrecht sind (i) der Scheinkaufmann, (ii) die Scheingesellschaft sowie
(iii) die Anscheins- und Duldungsvollmacht.
Eine Scheingesellschaft ist gegeben, wenn im Rechtsverkehr der Anschein einer tatsächlich nicht existierenden Gesellschaft hervorgerufen wird. Sofern und soweit der Rechtsschein den scheinbaren Gesellschaftern zugerechnet werden kann, haften diese gutgläubigen Dritten gegenüber gesamtschuldnerisch und persönlich wie tatsächliche Gesellschafter für die Verbindlichkeiten einer in Wirklichkeit nicht existierenden Gesellschaft (vgl. § 128 HGB analog bzw. direkt).
Der BGH hat nunmehr ausdrücklich klargestellt, „dass der Auslegungsgrundsatz zur personellen Zuordnung unternehmensbezogener Rechtsgeschäfte [...] einer vertraglichen Haftung aus Rechtsscheinsgründen nicht entgegensteht“.
(BGH, Urteil v. 31.07.2012 – X ZR 154/11)
Daniel Jamin, LL.M. (Sydney), Rechtsanwalt