Interne Untersuchungen im Lichte aktueller Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherstellung von Mandantenunterlagen
Mit drei Beschlüssen vom 27. Juni 2018 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsbeschwerden eines Unternehmens, der von ihm beauftragten Anwaltskanzlei und dreier Rechtsanwälte dieser Kanzlei nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Beschwerdeführer hatten sich gegen amtsgerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse bzw. deren Bestätigung durch das Landgericht München I gewendet. Auf Grundlage der Beschlüsse waren in den Münchener Kanzleiräumen einer US-amerikanischen Kanzlei Aktenordner und Daten sichergestellt worden, die eine bei dieser Kanzlei in Auftrag gegebene interne Untersuchung im Zusammenhang mit etwaigen Abgasmanipulationen betrafen.
Bemerkenswert sind die Ausführungen des BVerfG zur Begründung der Nichtannahmeentscheidungen. Denn erstmals stellt das BVerfG in aller Deutlichkeit klar: Verfassungsrechtlich ist keineswegs abgesichert, dass im Rahmen von internen Untersuchungen (Internal Investigations) erhobene und beim Rechtsanwalt lagernde Unterlagen von einer Beschlagnahme verschont bleiben. Nicht nur die Ergebnisse einer Internal Investigation, sondern auch die bei der Untersuchung anfallenden „Rohdaten“ – insbesondere Protokolle zu etwaigen Mitarbeiterbefragungen oder gesicherte E-Mails – können den Ermittlungsbehörden damit zur Verfügung stehen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz soll lediglich dann zu machen sein, wenn sich das Unternehmen, welches die Untersuchung in Auftrag gibt, in einer beschuldigtenähnlichen Situation befindet.
Der rechtliche Hintergrund der Entscheidung und die aus ihr resultierenden Folgen für die Praxis werden im Folgenden kurz dargestellt:
Hintergrund: Die Beziehung zwischen Unternehmen und Rechtsanwalt
Da Unternehmen in Deutschland nicht Beschuldigte eines Strafverfahrens sein können, unterliegt auch die Mandatsbeziehung zwischen einem Unternehmen und seinem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht dem gleichen umfassenden Schutz, wie er zwischen einem Beschuldigten und seinem Strafverteidiger besteht. Insbesondere die Beschlagnahmefreiheit sogenannter Verteidigungsunterlagen (vgl. §§ 97, 160a StPO) ist bei der Beratung von Unternehmen grundsätzlich nicht gewährleistet. Dies gilt auch bei Internal Investigations, wie das BVerfG jetzt klarstellt.
Etwas anderes gilt allerdings, wenn sich das Unternehmen in einer beschuldigtenähnlichen Situation befindet. In einem solchen Fall führt die Vertrauensbeziehung zwischen Unternehmen und Rechtsanwalt dazu, dass die in der Anwaltskanzlei befindlichen Unterlagen dem staatlichen Zugriff entzogen sind. Eine solche beschuldigtenähnliche Situation liegt nach der Rechtsprechung des BVerfG indes nur vor, wenn „nach objektiven Gesichtspunkten“ die Gefahr besteht, dass eine Unternehmensgeldbuße (§ 30 OWiG) festgesetzt oder Erträge eingezogen werden, die dem Unternehmen aus etwaigen Straftaten zugeflossen sind (§§ 73 ff. StGB, 29a OWiG). Für eine beschuldigtenähnliche Stellung des Unternehmens genügt es nach vom BVerfG gebilligter Auffassung nicht, dass „allein die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes“ vorliegt oder dass ein Unternehmen „ein künftiges gegen sich gerichtetes Ermittlungsverfahren lediglich befürchtet und sich vor diesem Hintergrund anwaltlich beraten lässt“. Erforderlich ist vielmehr ein „hinreichender Verdacht“ für eine Straftat oder Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) durch eine Leitungsperson, die als Anknüpfungstat für die „Bestrafung“ des Unternehmens dient.
Problematische Folgen für die Praxis
Für die Praxis heißt dies: Fehlt es an einer beschuldigtenähnlichen Stellung eines Unternehmens, können Unterlagen aus Internal Investigations selbst in einer Rechtsanwaltskanzlei beschlagnahmt werden. Das BVerfG hat zwar rechtstechnisch lediglich festgestellt, dass die beschlagnahmefreundliche Rechtsprechung des LG München I verfassungsgemäß ist, so dass eine andere Auslegung der Strafprozessordnung nicht ausgeschlossen ist. Für die Praxis steht allerdings zu erwarten, dass sich die Münchener Rechtsauffassung nun durchsetzen wird.
Das wiederum ist problematisch: War es bislang üblich, den Ermittlungsbehörden lediglich die Ergebnisse einer internen Untersuchung zur Verfügung zu stellen, ist zukünftig ein umfassender Zugriff auf sämtliche in der Kanzlei (oder dem Unternehmen) befindliche „Rohdaten“, sprich Befragungsprotokolle, IT-forensische Auswertungsberichte, E-Mail-Recherchen etc., zu befürchten. Eine Filterung der Erkenntnisse wird so ausgeschlossen. Internal Investigations, die im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren durchgeführt werden, wohnt damit sogar das Risiko inne, dass sämtliche aufgedeckten – und nicht mehr nur die unmittelbar verfahrensrelevanten – Missstände auch den Ermittlungsbehörden bekannt werden und so neue Verfahren ausgelöst werden können.
Beratung tut Not
Die Beschlüsse des BVerfG bringen die Geschäftsleitung eines Unternehmens damit in ein Dilemma: Einerseits ist die Geschäftsleitung in dem Augenblick, in dem sie Kenntnis von Straftaten erhält, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden oder wurden, verpflichtet, diese aufzuklären (und abzustellen sowie etwaige Verstöße zu ahnden). Ein Ermessensspielraum steht der Geschäftsleitung hierbei nur hinsichtlich der Art und Weise der Aufklärung zu (Auswahlermessen), nicht aber bezüglich des Ob der Aufklärung (Entschließungsermessen). Kommt die Geschäftsleitung dieser Pflicht nicht nach und entsteht dem Unternehmen deshalb ein Schaden, verwirklichen die Geschäftsleiter ggf. sogar eine Untreue im Sinne von § 266 StGB und könnten im Übrigen persönlich für etwaige Schäden haften.
Andererseits können auch die Ergebnisse einer Internal Investigation einem Unternehmen finanzielle Schäden zufügen. Werden beispielsweise Bestechungszahlungen eines Angestellten zur Akquise von Aufträgen für das Unternehmen (§ 299 StGB) aufgedeckt, könnte der aus den Aufträgen erwirtschaftete Umsatz seitens der Strafverfolgungsbehörden eingezogen (§ 73 StGB) und gegen das Unternehmen eine Unternehmensgeldbuße (§ 30 OWiG) verhängt werden (so geschehen im Rahmen der sog. Korruptionsaffäre bei Siemens. Auch solche „Schäden“ hat die Geschäftsleitung vom Unternehmen abzuwenden.
Die Aufklärungspflicht steht damit in Konflikt mit dem Sanktionsrisiko, das seinerseits durch die Möglichkeit der Beschlagnahme von Ergebnissen einer internen Untersuchung erheblich gesteigert wird. Mit den im Rahmen der internen Untersuchung zusammengetragenen und erzeugten Unterlagen liefert das Unternehmen quasi die Beweismittel zur eigenen Sanktionierung. Während der individuell Beschuldigte seinem Verteidiger ihn belastende Unterlagen problemlos übergeben könnte, da sie im Rahmen des Verteidigungsverhältnisses einem Beschlagnahmeverbot unterlägen, gilt dies bei Unternehmen nur eingeschränkt. Die Unterlagen einer Internal Investigation, die gerade dazu dient, etwaige Missstände aufzudecken und entsprechendes Material zu sammeln, wären erst beim Vorliegen einer beschuldigtenähnlichen Stellung geschützt. Geschäftsleiter tun daher gut daran, sich bei der notwendigen Abwägung beraten zu lassen. Hierbei ist auch zu prüfen, ob (mit-)betroffene Tochtergesellschaften eigene Mandatsverhältnisse mit der Kanzlei begründen sollten, die die Internal Investigations durchführt, denn nur dann können sie vom Schutz der Mandatsbeziehung profitieren. Wird das Mandat nur mit der Muttergesellschaft begründet, sind die entsprechenden Unterlagen in Verfahren gegen das Tochterunternehmen (oder deren Verantwortliche) nach der vom BVerfG gebilligten Rechtsprechung des Landgerichts München I selbst dann beschlagnahmefähig, wenn sich das Tochterunternehmen in einer beschuldigtenähnlichen Situation befindet.
Vorteil deutscher Kanzleien
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Verfassungsrichter der US-amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei attestieren, sie könne sich nicht auf die Grundrechte nach dem Grundgesetz berufen, da es sich bei ihr mangels Kanzleisitzes in Deutschland bzw. der Europäischen Union nicht um eine „inländische juristische Person“ handele. Dass die Kanzlei einen Standort in München habe, ändere hieran nichts, da maßgeblich allein der Hauptverwaltungssitz sei und dieser sich nicht in Deutschland bzw. der EU befinde. Ebenso wenig konnten sich im vorliegenden Fall die (deutschen) Rechtsanwälte der Kanzlei darauf berufen, dass eigene Grundrechte bei der Kanzleidurchsuchung verletzt worden seien.
Anders ist die Grundrechtsberechtigung von Rechtsanwaltskanzleien zu beurteilen, die – wie GvW Graf von Westphalen – ihren Sitz in Deutschland haben. Diese Kanzleien sind als inländische juristische Personen selbst Träger der Grundrechte. Im Falle einer Kanzleidurchsuchung können sie im eigenen Namen Verfassungsbeschwerde erheben, sollte eine Anrufung der Strafgerichte erfolglos bleiben. In dieser Möglichkeit, die Durchsuchung selbst auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand stellen zu lassen, liegt durchaus ein Mehrwert. Denn dem mandatierenden Unternehmen haben die Karlsruher Richter bescheinigt, dass es sich hier nicht gegen mögliche Grundrechtsverletzungen bei der Durchsuchung der Anwaltskanzlei wenden könne, d. h. gegen etwaige Verletzungen des Wohnungsgrundrechts (das auch bei Geschäftsräumen gilt) wie auch des Rechts auf ein faires Verfahren. Diese Grundrechte können in Bezug auf die Durchsuchung allein durch die Kanzlei gerügt werden.
Zusammenfassender Praxishinweis
Wie sich die neue Rechtsprechung des BVerfG für die Durchführung interner Untersuchungen in Deutschland auswirken wird, bleibt abzuwarten. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, hier Rechtssicherheit zu schaffen, denn interne Untersuchungen sind längst ein wesentlicher Baustein von verantwortungsvoller Compliance. In jedem Falle sollten Geschäftsleiter, die von Straftaten erfahren, die aus dem Unternehmen heraus begangen wurden, zeitnah mit einem Verteidiger besprechen, ob und in welchem Umfange eine Internal Investigation in die Wege geleitet wird.
(BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juni 2018, Az.: 2 BvR 1405, 1780/17; 2 BvR 1287, 1583/17; 2 BvR 1562/17)
Stefan Glock, Rechtsanwalt
Dr. Jan Felix Sturm, Rechtsanwalt
beide Hamburg