Kein Annahmeverzugslohn bei böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes
Nachdem sich im September 2022 das LAG Berlin-Brandenburg mit dem Annahmeverzugslohnanspruch auseinandergesetzt hat, hat das BAG im Oktober 2022 anknüpfend an das LAG seine Rechtsprechung zum böswilligen Unterlassen anderweitigen Erwerbs während des Annahmeverzugs fortgeführt.
In den letzten Jahren mussten Arbeitnehmer nach Zugang einer Kündigung meist keine großen Anstrengungen unternehmen, für den Zeitraum des Kündigungsschutzprozesses eine Beschäftigung zu suchen oder anzunehmen. Sie konnten – fast sicher sein, den entgangenen Verdienst im Fall der unwirksamen Kündigung nachgezahlt zu bekommen. Grundlage hierfür ist § 615 S. 1 BGB, der sogenannte „Annahmeverszugslohn“.
Das ändert sich allmählich. Immer häufiger wendet die Rechtsprechung die den Annahmeverzug einschränkenden Regelungen § 615 S. 2 BGB und § 11 Nr. 2 KSchG zu Gunsten der Arbeitgeber an. Danach muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Inhaltsgleich zu § 615 S. 2 BGB ist § 11 Nr. 2 KSchG.
Die Rechtsprechung hatte zuletzt in zwei Fällen wegen fehlender Bewerbungsbemühungen ein böswilliges Unterlassen bejaht und damit einen Lohnanspruch abgelehnt:
Annahmeverzugslohn nur bei Auskunft über Bewerbungsbemühungen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.9.22 – 6 Sa 280/22)
Der Arbeitnehmer machte nach erfolgreichen Kündigungsschutzklagen gegen zwei Kündigungen von Mai 2017 und April 2019 Annahmeverzugslohnansprüche geltend. Nach der ersten Kündigung bekam er Arbeitslosgengeld, wobei die Bundesagentur ihm 23 Vermittlungsvorschläge übermittelt hatte. Auf Aufforderung des Arbeitgebers im Prozess legte er dar, dass er ab Oktober 2018 insgesamt 104 Bewerbungen auf Offerten der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit versandt habe und auf die Bewerbungen 75 Absagen und in 29 Fällen keine Reaktion erhalten habe; die Stellenanzeigen selbst habe er nicht gespeichert. Zwischenverdienst hatte er nicht erzielt.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Zahlungsklage abgewiesen (wie bereits die Vorinstanz). Der Annahmeverzugslohnanspruch sei aufgrund böswilligen Unterlassens anderweitigen zumutbaren Verdienstes auf Null festzusetzen.
Obwohl der Arbeitnehmer Bewerbungen geschrieben hatte, drang der Arbeitgeber mit Indizien gegen eine ernsthafte Bewerbungsabsicht durch: Er konnte Indizien vortragen:
- Keine Bewerbung von Mai 2017 bis Oktober 2018
- Bewerbung nur auf drei Vermittlungsvorschläge der BfA
- Keine vollständigen Unterlagen übersandt
- Auf Nachfragen nicht reagiert
Insgesamt habe der Arbeitnehmer über den Zeitraum von 29 Monaten „nur“ 103 Bewerbungen versandt, was nur einer Bewerbung pro Woche entspricht.
Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes
Im Falle des BAG hatte der Arbeitnehmer – nachdem eine Kündigung für unwirksam erklärt worden war – Schadenersatz wegen Entzugs seines Dienstwagens und Vergütung wegen Annahmeverzugs gefordert.
Das BAG stellte fest, dass zwar der Annahmeverzugslohn und der Schadensersatz nicht allein mit dem Argument abgewiesen werden könne, der Arbeitnehmer habe sich nicht arbeitslos gemeldet. Vielmehr sind immer die Gesamtumstände zu berücksichtigen. Danach kann die Verletzung der Pflicht zur Meldung der Arbeitslosigkeit aus § 38 Abs. 1 SGB III ein erstes Indiz für das böswillige Unterlassen darstellen. Zusätzlich müssen dann die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden und die Gesamtumstände gewürdigt werden. Als weitere Umstände muss im Einzelfall Folgendes berücksichtigt werden:
- die leitende Position des Arbeitnehmers,
- die fehlende vollständige Aufklärung zu eigenen Bemühungen des Arbeitnehmers,
- die Streitigkeiten der Parteien während der Kündigungsschutzverfahren und
- der Verstoß des Arbeitgebers gegen die sozialrechtliche Verpflichtung aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III.
Hinsichtlich des Anspruchs auf Entschädigung für den Dienstwagenentzug nach §§ 280 Abs. 1 S. 1, 283 S. 1 BGB war offen geblieben, ob und in welcher Höhe dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Schadensersatz zustehen kann. Für die Höhe des Schadensersatzanspruchs muss aufgeklärt werden, ob und gegebenenfalls für welchen Teil der Forderung den Arbeitnehmer ein überwiegendes Mitverschulden i. S. v. § 254 Abs. 1 BGB trifft. Im Rahmen des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB muss dann geprüft werden, ob ein mitwirkendes Verschulden durch das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes vorliegt.
Praktische Konsequenzen
Praktisch lohnt es sich für Arbeitgeber während des Kündigungsschutzprozesses die Bemühungen des Arbeitnehmers zu beobachten:
1. Im ersten Schritt besteht für den Arbeitgeber bereits während des Kündigungsschutzprozess die Option, das Annahmeverzugsrisiko zu minimieren, indem er dem Arbeitnehmer das Angebot unterbreitet, für die Dauer des Prozesses einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen anzunehmen.
Ob die angebotene Tätigkeit dem Arbeitnehmer dann zumutbar ist, hängt insbesondere von der Art der Kündigung und dem Verhalten des Arbeitgebers nach der Kündigung bzw. im Prozess ab. Während bei der betriebsbedingten Kündigung im Regelfall von der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausgegangen wird, muss bei einer verhaltensbedingten Kündigung im Einzelfall geprüft werden, ob die Weiterarbeit beim Arbeitgeber zumutbar ist, wobei hier insbesondere maßgeblich ist, welche Pflichtverletzung dem Arbeitnehmer vorgeworfen wird.
Alternativ kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer proaktiv geeignete anderweitige Stellenangebote übersenden und die Übersendung aller Vorschläge dokumentieren.
2. Im zweiten Schritt sollte aus Arbeitgebersicht im Prozess um Annahmeverzugslohnansprüche im Einzelfall immer genau geprüft werden, ob Indizien für ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes vorgetragen werden können.
Zur Bestimmung der Indizien kann der Arbeitgeber im Prozess des Annahmeverzugslohns vom Arbeitnehmer zunächst Auskunft über erfolgte Bewerbungen und weitergeleitete Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Aufgrund der erteilten Auskunft kann der Arbeitgeber dann, soweit gegeben, entsprechende Indizien vorbringen, dass der Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen hat. Indizien können dann beispielsweise die fehlenden oder unzureichenden Bewerbungen des Arbeitnehmers und auch der Zeitpunkt der Bewerbungen sein. Gleiches kann gelten, wenn sich die Arbeitnehmer nicht bei der Bundesagentur für Arbeit meldet.
Bei konsequenter Dokumentation und prozessualer Anwendung der Kriterien des Annahmeverzugs kann das wirtschaftliche Risiko für Unternehmen in Folge unwirksamer Kündigungen erheblich begrenzt werden. Dazu sind die Weichen nicht erst im Prozess über den Annahmeverzugslohn, sondern bereits nach Ausspruch der Kündigung zu stellen, indem Prozessbeschäftigung angeboten wird oder Stellenausschreibungen übermittelt werden.
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.9.22 – 6 Sa 280/22)
(BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22)