Neues Haftungsrisiko für Geschäftsleiter – BGH statuiert Haftung für Pflichtverletzungen in der Eigenverwaltung
In einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung haben die Geschäftsleiter des eigenverwalteten Unternehmens Aufgaben wahrzunehmen, die in einem Regelinsolvenzverfahren ein Insolvenzverwalter zu erfüllen hätte. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun entschieden, dass die Geschäftsleiter deshalb für verfahrensspezifische Fehler auch wie ein Insolvenzverwalter persönlich haften.
Hintergrund
Der Gesetzgeber hat bereits im Jahr 1999 die Möglichkeit geschaffen, ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung zu führen und diese Möglichkeit im Jahr 2011 mit dem Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG; in Kraft getreten am 01.03.2012) ausgebaut und gestärkt. Seither gewinnen Eigenverwaltungsverfahren an Bedeutung.
Anders als bei einem „normalen“ Insolvenzverfahren (Regelinsolvenzverfahren) gibt es in der Eigenverwaltung keinen Insolvenzverwalter. Die Befugnis, das Vermögen des Unternehmens zu verwalten und darüber zu verfügen verbleibt in der Eigenverwaltung beim Schuldner (bzw. den ihn vertretenden Geschäftsleitern). In der Eigenverwaltung nehmen folglich die Geschäftsleiter der eigenverwalteten Gesellschaft weitestgehend die Aufgaben des Insolvenzverwalters in einem Regelinsolvenzverfahren wahr. Dabei werden sie von einem Sachwalter unterstützt und überwacht.
Die besondere Stellung der Geschäftsleiter im Eigenverwaltungsverfahren wirft die Frage der Haftung auf. Verletzt ein Insolvenzverwalter in einem Regelinsolvenzverfahren schuldhaft seine Pflichten, die ihm nach der Insolvenzordnung (InsO) obliegen, haftet er den am Insolvenzverfahren Beteiligten (insbesondere den Gläubigern) gegenüber persönlich auf Schadensersatz (§ 60 InsO). Darüber hinaus haftet der Insolvenzverwalter, wenn er eine Masseverbindlichkeit begründet, die aus der Insolvenzmasse nicht mehr voll erfüllt werden kann (§ 61 InsO). Geschäftsleiter einer juristischen Person haften dagegen grundsätzlich nicht gegenüber Dritten im Außenverhältnis. Der BGH hat nun allerdings die Haftung der Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft der eines Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren gleichgestellt.
Entscheidungen des BGH
Der BGH hatte über den Fall eines (Sanierungs-)Geschäftsführers zu entscheiden, der bereits vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer als Sanierungsexperte für die spätere Insolvenzschuldnerin (genauer, für die Komplementär-GmbH der späteren Insolvenzschuldnerin) tätig war. Die Insolvenzschuldnerin stellte kurz nach der Bestellung des Beklagten zum Geschäftsführer einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Im Laufe des Eigenverwaltungsverfahrens bestellte der Beklagte Waren bei der späteren Klägerin, die ordnungsgemäß geliefert, aber nicht mehr bezahlt wurden. Für den Forderungsausfall machte die Klägerin Schadensersatz gegenüber dem Beklagten geltend. Der BGH hielt eine Haftung des Beklagten analog § 61 InsO für möglich und hob daher das klageabweisende Urteil der Vorinstanz auf.
Der BGH stellte klar, dass Geschäftsleiter einer Gesellschaft in Eigenverwaltung über ihre originären gesellschaftsrechtlichen Aufgaben hinaus mit originären Aufgaben eines Insolvenzverwalters betraut werden. Aus diesen zusätzlichen Aufgaben ergebe sich ein spezielles Haftungsbedürfnis. Dieses Haftungsbedürfnis sei dem Gesetzgeber zwar bewusst gewesen, er habe dafür aber unbeabsichtigt keine hinreichenden Regelungen getroffen. Die geltende Gesetzeslage biete den Gläubigern in einem Eigenverwaltungsverfahren keinen hinreichenden Schutz vor Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter. Der BGH sieht darin eine planwidrige Regelungslücke, die dadurch zu schließen sei, dass Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft den am Insolvenzverfahren Beteiligten für Verletzungen ihnen obliegender insolvenzspezifischer Pflichten analog §§ 60, 61 InsO auf Schadensersatz haften.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung hat weitreichende Folgen. Geschäftsleiter haften für Pflichtverletzungen grundsätzlich lediglich ihrer eigenen Gesellschaft gegenüber im Innenverhältnis (§ 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 S. 1 AktG). Eine Haftung im Außenverhältnis gegenüber Dritten (insbesondere den Gläubigern der Gesellschaft) kommt dagegen lediglich in engen Ausnahmefällen in Betracht. Mit seinem aktuellen Urteil statuiert der BGH einen weiteren Ausnahmefall. Infolge der analogen Anwendung der §§ 60, 61 InsO haften Geschäftsleiter einer Gesellschaft in Eigenverwaltung nicht lediglich gegenüber ihrer Gesellschaft, sondern darüber hinaus für Verletzungen ihrer insolvenzspezifischen Pflichten persönlich gegenüber den am Insolvenzverfahren Beteiligten.
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.04.2018 –IX ZR 238/17)
Uli Schmidt, Rechtsanwalt
München