Nichtigkeit der Antidumpingverordnung für Schuhe aus China
Mit Urteil vom 2. Februar 2012 hat der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-249/10, Brosmann Footwear (HK) Ltd. u.a. / Rat, den Klagen von vier chinesischen Herstellern gegen den Ende März 2011 ausgelaufenen Antidumpingzoll auf bestimmte Schuhe mit Oberteil aus Leder stattgegeben und hierbei eine Grundsatzentscheidung getroffen, die auf eine Vielzahl laufender Antidumpingmaßnahmen sowie zukünftige Antidumpinguntersuchungen durchschlagen dürfte.
Der Gerichtshof ist in seiner Entscheidung - entgegen der ständigen Kommissionspraxis, dem erstinstanzlichen Urteil des Gerichts der Europäischen Union und den Schlussanträgen des Generalanwalts - der Argumentation der chinesischen Hersteller gefolgt, dass die Kommission ungeachtet der Vielzahl der chinesischen Hersteller verpflichtet war, ihre Anträge auf marktwirtschaftliche Behandlung zu prüfen.
Die VR China gilt ungeachtet ihres Beitritts zur WTO noch bis zum Jahre 2016 als Land ohne Marktwirtschaft, sodass - vereinfacht dargestellt - die Festsetzung von Antidumpingzöllen auf Grundlage von Vergleichspreisen in Drittländern mit Marktwirtschaft erfolgt. Da das Abstellen auf marktwirtschaftliche Vergleichsländer tendenziell zu höheren Antidumpingzöllen führt als bei Heranziehung der Preise für die betroffenen Waren auf dem chinesischen Heimatmarkt, stellen chinesische Hersteller in der Regel Anträge auf marktwirtschaftliche Behandlung, was bei Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus zur Folge hat, dass für den betreffenden Hersteller die Verkaufspreise auf dem chinesischen Heimatmarkt den Ausgangspunkt der Ermittlung der Höhe des Antidumpingzolls bilden. Die sich insoweit ergebenden Differenzen sind bedeutsam: Der Antidumpingzoll gegenüber dem einzigen chinesischen Hersteller von Schuhen, dem eine marktwirtschaftliche Behandlung zugestanden wurde, lag bei 9,7 %, während für alle anderen chinesischen Hersteller ein Zollsatz von 16,5 % galt - in vielen Antidumpingverfahren ist die Diskrepanz noch größer. Um Marktwirtschaftsstatus zu erhalten, muss ein ausführender Hersteller nachweisen, dass er unter marktwirtschaftlichen Bedingungen tätig ist und seine Unternehmensentscheidungen nicht vom Staatshandeln beeinflusst werden.
Da von Antidumpingmaßnahmen zumeist sehr viele - im Fall der Antidumpinguntersuchung betreffend Schuhe mit Oberteilen aus Leder rund 150 - ausführende Hersteller betroffen sind, bildet die Kommission zur Ermittlung der Zollsätze üblicherweise eine Stichprobe. Nach ständiger Kommissionspraxis wurden im Antidumpingverfahren betreffend Schuhe aus China und Vietnam lediglich die Anträge auf marktwirtschaftliche Behandlung derjenigen ausführenden Hersteller geprüft, die in die Stichprobe der Kommission einbezogen wurden.
Diese Praxis, die das Gericht und der Generalanwalt als dem Stichprobenverfahren immanent angesehen haben, wurde nunmehr vom Gerichtshof verworfen. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass über die Anträge auf marktwirtschaftliche Behandlung entsprechend den Vorgaben der Antidumping-Grundverordnung innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Untersuchung zu entscheiden war und diese Pflicht nicht dadurch entfiel, dass die klagenden Hersteller nicht in die Stichprobe der Kommission einbezogen wurden.
Um die Nichtigkeit der Antidumpingmaßnahmen gegenüber den klagenden Herstellern auszusprechen, hielt es der Gerichtshof nicht für erforderlich, näher zu prüfen, ob die Anträge auch inhaltlich Aussicht auf Erfolg hatten. Insoweit genügte dem Gerichtshof die Möglichkeit, dass die Hersteller bei Zuerkennung eines Marktwirtschaftsstatus in den Genuss niedrigerer Antidumpingzölle gekommen wären. Auch auf die zwischenzeitlich vom WTO-Panel festgestellten Defizite des betreffenden Antidumpingverfahrens ist der Gerichtshof nicht mehr eingegangen.
Infolge der (teilweisen) Nichtigerklärung der Antidumpingzölle bestehen für Importeure, die Schuhe von den klagenden oder anderen Herstellern, deren MWS-Anträge übergangen wurden, bezogen haben, gute Aussichten auf Erstattung der in den letzten drei Jahren gezahlten Antidumpingzölle. Auch bezüglich anderer Antidumpingmaßnahmen steht zu erwarten, dass ausführende Hersteller, deren Anträge auf marktwirtschaftliche Behandlung übergangen wurden, nunmehr ihrerseits Klagen auf Nichtigerklärung der Antidumpingzölle erheben oder Unionsimporteure auf dieser Grundlage eine Rückerstattung verauslagter Antidumpingzölle anstreben. Das Urteil dürfte ferner dazu führen, dass die Kommission ihr Vorgehen bei Antidumpinguntersuchungen gegenüber Einfuhren aus der VR China grundlegend umstellt, um der Vielzahl der MWS-Anträge Herr zu werden.
(EuGH, Urtail vom 02. Februar 2012, C-249/10)
Dr. Fabian Eckard, Rechtsanwalt