Januar 2019 Blog

Schwin­den­des In­te­resse bei Bie­tern – mit Ver­gabe­recht ge­gen­steu­ern?

Derzeit ist mancher öffentlicher Auftraggeber froh um jeden Bewerber auf seine Ausschreibungen. Wenn eine Branche so boomt, dass nur noch wenig Interesse an öffentlichen Aufträgen besteht, müssen die anwaltlichen Berater das Vergaberecht besonders geschickt einsetzen, um ausreichend attraktive Bieter zu gewinnen.

Die Baubranche boomt derzeit: Die Auftragsbücher sind voll, die Wartezeiten lang, die Preise dadurch evtl. für öffentliche Auftraggeber zu hoch. Diese Entwicklung ist teils auch in anderen Branchen zu spüren. Ob es an der starken Wirtschaftsentwicklung, am Fachkräftemangel, an diversen staatlichen Investitionen (gerade in der Baubranche) oder am komplizierteren Vergaberecht liegt – immer häufiger erleben öffentliche Auftraggeber, dass ihre Ausschreibungen nur auf wenig Interesse stoßen. Teils ist man schon froh, wenn man nach der monatelangen Vorbereitung komplexer Vergabeunterlagen gerade noch zwei Teilnahmeanträge erhält. Damit stellt sich die Frage: Wie kann das Vergaberecht eingesetzt werden, um in Zeiten schwindenden Interesses starke Bieter anzuziehen?

Grundsätzlich geht das Vergaberecht davon aus, dass Aufträge der öffentlichen Hand aufgrund des praktisch nicht vorhandenen Insolvenzrisikos attraktiv sind. Es ist strukturell deshalb eher darauf ausgerichtet, allzu zahlreiche Bewerber bzw. Bieter zu kanalisieren und auf eine handhabbare Zahl zu reduzieren. So sind z. B. die zweistufigen Verfahren selbst bereits eine Methode, um eine Auswahl an Hand von Eignungskriterien zu treffen: Vor der Angebotsabgabe können damit ungeeignete Bewerber „herausgefiltert“ werden. Die dadurch verbleibenden Bewerber kann der Auftraggeber nach § 51 VgV noch weiter reduzieren, indem er nur eine begrenzte Anzahl der geeigneten Bewerber zur Angebotsabgabe auffordert. In Verhandlungsverfahren kann er die Verhandlungen in verschiedenen Phasen abwickeln, um so die Zahl der Angebote an Hand von Zuschlagskriterien zu verringern. All dies muss zuvor natürlich transparent bekanntgemacht worden sein.

Diese Auswahlmöglichkeiten verlieren ihre Hebelwirkung allerdings dann, wenn die Sorge des Auftraggebers nicht zu viele, sondern zu wenige Bewerber sind. In diesem Falle braucht der Auftraggeber kreative und flexible Lösungen, um das Vergaberecht geschickt für sein Ziel einzusetzen. Dies sollte eingehend vor Beginn eines Vergabeverfahrens überlegt sein.

In einem ersten Schritt sollte der Markt genau erkundet werden. Welche Unternehmen kommen für die Leistung in Betracht? Welche Qualifikationen sind branchenüblich? Wie erfahren ist die Branche im Umgang mit Ausschreibungen? Wie viel Zeit und Arbeitskräfte wird ein Unternehmen für eine Teilnahme aufbringen können? 

Die Vergabeunterlagen sollten dann (im Rahmen des Zulässigen) auf die Leistungsmöglichkeiten potentieller Bewerber abgestimmt werden – vornehmlich bezüglich der Form: Sie sollten in ihrem Umfang, ihrem intellektuellen Anspruch und ihrer Detailtiefe an den Markt angepasst werden. Auf branchenunübliche Zertifikationen sollte möglichst verzichtet werden und Eigenerklärungen sind Drittnachweisen vorzuziehen. Ziel sollte sein, dass ein Bewerber möglichst wenig Arbeit und Hemmung hat, an dem Wettbewerb um den Auftrag teilzunehmen. Dazu tragen auch angemessen lange Fristen, geringer administrativer und technischer Aufwand (z. B. bei der Nutzung der Vergabeplattform) und möglichst flexible Handhabung beim Einsatz anderer Unternehmen bei.

Mehr denn je sollten Auftraggeber insbesondere zu Beginn eines Vergabeverfahrens die anwaltliche Erfahrung dazu einsetzen, potentielle Fehler bei der Teilnahme vorherzusehen und ihnen vorzubeugen, damit kein Bewerber aus vermeidbaren Gründen ausgeschlossen werden muss (und so für das Verfahren verloren geht). Besondere Sorgfalt ist deshalb darauf zu verwenden, die Vergabeunterlagen leicht verständlich, logisch und übersichtlich zu gestalten. Bieterfragen und Rügen sind mit viel Fingerspitzengefühl und größtmöglicher Flexibilität zu handhaben und für die Unternehmen verständlich und nachvollziehbar zu beantworten bzw. zu begegnen.

Schließlich können bei geringer Teilnahme oder im Anschluss an erfolglose Vergabeverfahren die bisher in Literatur und Rechtsprechung noch teilweise zu wenig ausgeleuchteten Ausnahmen des § 14 Abs. 3 Nr. 5 bzw. Abs. 4 Nr. 1 VgV zur Durchführung von Verhandlungsverfahren mit oder u.U. auch ohne Teilnahmewettbewerb in Frage kommen. Wenn die strengen Voraussetzungen und das komplexe Verhältnis der beiden Ausnahmetatbestände zueinander sorgfältig bedacht und dokumentiert wird, kann dies eine schnelle und praktikable Lösung für den Auftraggeber sein, um doch noch erfolgreich die gewünschte Leistung zu beschaffen.

Jana Gretschel, Rechtsanwältin
München

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