Update zur Insolvenzantragspflicht – BMJV veröffentlicht Entwurf eines Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz („BMJV“) hat bereits in einer Pressemitteilung vom 16.03.2020 angekündigt, dass zur Unterstützung von Unternehmen, die infolge der Corona-Pandemie in Notlage geraten sind, die Insolvenzantragspflicht vorübergehend ausgesetzt werden wird (wir haben berichtet). Jetzt hat das BMJV einen Gesetzentwurf für ein Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die Covid-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG) veröffentlicht.
Die wichtigsten Inhalte:
Befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und Vermutung einer Corona-bedingten Insolvenzreife
Der Gesetzesentwurf sieht eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis (zunächst) zum 30.09.2020 vor. Anders als beispielsweise noch im Fall der Flutkatastrophe im Jahr 2016, bei der die Insolvenzantragspflicht ebenfalls befristet ausgesetzt wurde, enthält der Entwurf des COVInsAG eine wichtige Beweiserleichterung für betroffene Unternehmen. Die Antragsausetzung gilt nämlich (nur) dann nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (Covid-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Konkret bedeutet das:
- Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt im Grundsatz für jedes Unternehmen. Betroffene Unternehmen müssen also grundsätzlich nicht nachweisen, dass die Insolvenzreife (nur) infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie eingetreten ist.
- Ausnahmsweise gilt die Antragsaussetzung nicht, wenn die Insolvenzreife nicht Folge der Corona-Pandemie ist oder eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit voraussichtlich nicht wieder beseitigt werden kann. Diese Umstände muss derjenige darlegen, der sich im Einzelfall auf das Bestehen der Antragspflicht beruft, also beispielsweise ein Gläubiger, der einen Fremdinsolvenzantrag stellen möchte.
Vordergründig stellt die Beweislastumkehr für betroffene Unternehmen eine Erleichterung dar, weil sie von erheblichen Nachweisproblemen befreit werden. Allerdings ist das im Ergebnis trügerisch. Für Unternehmen besteht weiterhin das Risiko, dass einem Dritten (bspw. einem Gläubiger) der Nachweis gelingt, dass die Aussetzungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Bis es zu einem solchen „Gegennachweis“ kommt, können allerdings leicht Wochen oder sogar Monate vergehen. Während dieser Zeit bestünde die Insolvenzantragspflicht – sowie die damit verbundenen straf- und zivilrechtlichen Haftungsrisiken – weiterhin fort. Um sich gegen diese Haftungsrisiken abzusichern, müssten Unternehmensleiter eigentlich – ungeachtet der Beweislastumkehr – die Voraussetzungen der Antragsaussetzung vorsorglich prüfen.
Dieses Haftungsrisiko können Unternehmensleiter allerdings reduzieren, wenn sie nachweisen, dass ihr Unternehmen am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war. Der Gesetzesentwurf sieht für diesen Fall eine Vermutung vor, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Zwar ist auch diese Vermutung widerlegbar. Nach dem Wunsch des Gesetzgebers soll die Vermutung aber gewährleisten, dass Unternehmensorgane von den Nachweis- und Prognoseschwierigkeiten effektiv entlastet werden. Eine Widerlegung der Vermutung soll daher nur in solchen Fällen in Betracht kommen, bei denen kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Covid-19-Pandemie nicht ursächlich für die Insolvenzreife war und dass die Beseitigung einer eingetretenen Insolvenzreife nicht gelingen konnte.
In vielen Fällen dürfte der Nachweis einer Zahlungsfähigkeit zum 31.12.2019 daher ein effektiver Haftungsschutz für Geschäftsleiter sein.
Aussetzung von Gläubigerinsolvenzanträgen
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 InsO kann auch ein Gläubiger die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ein Unternehmen beantragen, wenn er daran ein rechtliches Interesse hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) glaubhaft machen kann. Solche Anträge von Gläubigern sollen zwischen dem (voraussichtlich) 01.03.2020 und 01.06.2020 nur noch dann zulässig sein, wenn der Eröffnungsgrund bereits am 01.03.2020 vorlag.
Die Beschränkung der Gläubigerinsolvenzanträge soll rückwirkend zum 01.03.2020 und betrifft damit auch bereits (nach dem 01.03.2020) gestellte Insolvenzanträge, soweit am Tag der Verkündung des COVInsAG noch nicht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden wurde.
Zahlungsverbote während Aussetzung der Insolvenzantragspflicht beschränkt
Zur weiteren Entlastung von Unternehmensorganen sollen die gesetzlichen Zahlungsverbote, die nach Eintritt der Insolvenzreife bestehenden, während der Zeit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht beschränkt werden. Vollständig ausgesetzt werden die Zahlungsverbote allerdings nicht.
Nach der derzeitigen Gesetzeslage darf ein Vorstand oder Geschäftsführer ab dem Zeitpunkt des Eintritts einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung grundsätzlich keine Zahlungen mehr aus dem Gesellschaftsvermögen leisten (insb. § 64 GmbHG und §§ 92, 93 AktG). Diese Zahlungsverbote bleiben zwar im Grundsatz unverändert. Allerdings sollen Vorstände und Geschäftsführer, soweit die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, nicht für Zahlungen haften, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen.
Mit der Formulierung („Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“) knüpft der Gesetzgeber des COVInsAG offenbar an eine Fallgruppe von Zahlungen an, die bereits nach bisheriger Rechtsprechung und Literaturmeinungen unter bestimmten Umständen auch nach Eintritt der Insolvenzreife noch zulässig sein sollten. Mit dem geplanten Gesetzeswortlaut stellt der Gesetzgeber sicher, dass derartige Zahlungen während der gesamten Dauer der Aussetzung der Insolvenzantragstellung zulässig sein sollen.
Geht man von dem bisherigen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur aus, dürften u.a. die folgenden Zahlungen einem „ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ entsprechen und damit weiterhin zulässig sein:
- Zahlungen von Steuern (zu beachten ist insoweit allerdings die Möglichkeit von Steuerstundungen; Link)
- Zahlungen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (hier können ebenfalls Stundungsmöglichkeiten bestehen, insbesondere bei Kurzarbeit, Link)
- Zahlung von Mieten (auch hier plant der Gesetzgeber allerdings Regelungen zur Zahlungspflicht)
- Zahlung von Gehältern und Löhnen
- Versorgungsleistungen wie Strom, Wasser, Gas etc.
- Leasingraten für betriebsnotwendige Gegenstände/Fahrzeuge
- Zahlung für Gegenstände und Waren, die das Unternehmen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs benötigt (beispielsweise Produktionsmittel)
- Zahlungen für dringend erforderliche Dienstleistungen (bspw. notwendige Reparaturen etc.)
Darüber hinaus werden im Gesetzesentwurf ausdrücklich Zahlungen für Maßnahmen im Zuge der Neuausrichtung des Geschäfts im Rahmen einer Sanierung (also u.a. auch Zahlungen für die Änderungen des Geschäftsmodells) genannt.
Ferner sollten Verbraucher und Kleinstunternehmen beachten, dass der Gesetzesentwurf des COVInsAG für sie unter bestimmten Voraussetzungen das Recht vorsieht, die Erfüllung von Ansprüchen aus Dauerschuldverhältnissen zu verweigern. Eine Zahlung, die aufgrund eines Leistungsverweigerungsrechts nicht geleistet werden muss, darf im Rahmen der Zahlungsverbote im Zweifel auch nicht geleistet werden.
Die aufgelisteten Fallgruppen können allerdings allenfalls eine unverbindliche Orientierung bieten. Der Gesetzesentwurf erläutert letztlich nicht, wann genau eine „Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ vorliegt und überlässt eine weitere Konkretisierung wohl den Zivilgerichten. Unternehmensorgane sollten sich daher in Zweifelsfällen rechtlich beraten lassen.