Vergaberecht: Ausschluss des Angebotes wegen Unzuverlässigkeit
Ein Angebot kann wegen Unzuverlässigkeit des Bieters gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG iVm § 6 Abs. 6 lit. c. VOL/A-EG schon dann ausgeschlossen werden, wenn der schwerwiegende und konkrete Verdacht von Straftaten (z.B. gem. § 331 StGB) besteht. Eine Anklage oder eine Verurteilung sind nicht notwendig. Das hat die Vergabekammer Lüneburg am 1.12.2011 entschieden.
Die ASt hat ein Angebot für die maschinelle Fahrbahnreinigung in einem gem. VOL/A europaweiten Vergabeverfahren abgegeben. Der AG schließt das Angebot der ASt gem. § 19 Abs. 4 VOL/A-EG iVm § 6 Abs. 6c lit. c. VOL/A-EG wegen einer nachweislich schweren Verfehlung durch den Geschäftsführer der ASt aus. Der AG verweist darauf, dass sich aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten, konkret zwei Beschuldigtenvernehmungen des Geschäftsführers der ASt ergibt, dass dieser sich gem. § 331 StGB, ggf. gem. §§ 334, 335 StGB strafbar gemacht hat. Die ASt hält den Angebotsausschluss für rechtswidrig und beantragt u.a, dass ihr Angebot zu werten ist. Sie trägt hierzu u.a. vor, dass die Voraussetzungen der genannten Ausschlussvorschriften nicht vorliegen. Eine Straftat könne zwar eine schwere Verfehlung gem. dieser Vorschriften darstellen, eine Straftat sei aber nicht nachgewiesen. Schließlich liege keine Anklage und schon gar nicht eine Verurteilung vor. Der Geschäftsführer habe zudem nicht vorsätzlich bzw. nicht schuldhaft gehandelt.
Die VK bestätigt den Angebotsausschluss. Gem. § 19 Abs. 4 VOL/A-EG iVm § 6 Abs. 6 lit. c. VOL/A-EG können Angebote von Bietern ausgeschlossen werden, die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit und damit ihre Eignung als Bewerber in Frage stellt. Wesentliche Aspekte der Eignung sind die Fachkunde, die Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit. Dabei geht es um unbestimmte Rechtsbegriffe. Dem AG steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die VK unterliegt. Auch wenn kein zwingender Ausschluss der ASt gem. § 6 Abs. 4e lit. e. VOL/A-EG in Betracht kommt, weil keine Verurteilung gemäß § 334 StGB vorliegt, kann gleichwohl ein Ausschluss nach der Ermessensvorschrift von § 6 Abs. 6e lit. c. VOL/A-EG zulässig sein. In der Regel liegt bei einem Verstoß gegen strafrechtliche Vorschriften Unzuverlässigkeit vor. Dabei ist auf die verantwortlich handelnden Personen abzustellen. Zwar liegt nach dem Wortlaut der Norm die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer schweren Verfehlung beim AG. Dieser Nachweis ist immer dann geführt, wenn eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, notwendig ist diese aber nicht. Bei konkreten Anhaltspunkten, die sich z.B. aus der eigenen Einlassung des Geschäftsführers im Ermittlungsverfahren ergeben, ist der AG zu einem Ausschluss berechtigt. Konkret ergeben sich solche Umstände aus der Einlassung im Ermittlungsverfahren. Fehlender Vorsatz oder Entschuldigungsgründe sind für die VK nicht ersichtlich. Das Ausschlussermessen ist ordnungsgemäß ausgeübt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt. Die ASt hat keine glaubwürdigen und erfolgversprechenden Maßnahmen ergriffen, um vergleichbare Rechtsverletzungen für die Zukunft auszuschließen. Im Gegenteil: Die ASt ist der Auffassung, dass der Geschäftsführer schon keine schwerwiegende Verfehlung begangen hat.
Der Beschluss der VK ist nicht überraschend. Für die betroffenen Bieter stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, bei einem drohenden Ausschluss zu argumentieren, eine schwere Verfehlung könne erst nach einem rechtskräftigen Urteil angenommen werden. Dies macht nur dann Sinn, wenn die „Beweislage" offen ist, also nicht mehr bei einem Geständnis bereits im Ermittlungsverfahren. Es ist dem Bieter dann zu empfehlen, die Ermessensentscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen (Entlassung der Verantwortlichen, Schadenswiedergutmachung; Vorsorgemaßnahmen).
(VK Lüneburg, Beschluss vom 1.12.2011 - Az.: VgK-53/2011)
Dr. Reinhard Höß, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Fachanwalt für Strafrecht