Verjährungsbeginn bei Anspruch aus Existenzvernichtungshaftung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden (Urteil vom 24. Juli 2012 - II ZR 177/11), dass die regelmäßige Verjährung für einen Anspruch aus Existenzvernichtungshaftung gegen den mittelbaren Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) erst zu laufen beginnt, wenn dem Gläubiger sowohl (i) die anspruchsbegründenden Umstände, als auch (ii) die Umstände aus denen sich ergibt, dass der mittelbare Gesellschafter als Schuldner in Betracht kommt, bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt sind.
Entscheidung des BGH
Wegen des doppelten Kenntniserfordernisses (anspruchsbegründende Umstände sowie Person des Schuldners) können damit Ansprüche aus Durchgriffshaftung gegen die hinter einer Kette von Kapitalgesellschaften stehenden natürlichen Personen - bei nachträglicher Kenntniserlangung - auch längerfristig noch durchsetzbar sein. Die Entscheidung ist gleichsam bedeutsam für Insolvenzverwalter, als auch Gesellschafter insolventer Kapitalgesellschaften, die auch Jahre nach Insolvenzeröffnung derartige Ansprüche noch verfolgen bzw. diesen ausgesetzt sein können.
Im konkreten Fall hatte eine Muttergesellschaft im Jahre 2001 von ihrer Tochtergesellschaft Waren gekauft. Der Warenbestand der Tochtergesellschaft war der kreditfinanzierenden Bank der Tochtergesellschaft zur Sicherheit übereignet worden. Statt der Zahlung des Kaufpreises für die erhaltenen Waren erklärte die Muttergesellschaft in der Folge die Aufrechnung mit offenen Forderungen gegen die Tochtergesellschaft. Die Ansprüche der Muttergesellschaft gegen die Tochtergesellschaft waren wegen Überschuldung der Tochtergesellschaft wertlos. Nach der Weggabe des Warenbestandes kündigte die kreditfinanzierende Bank der Tochtergesellschaft den Kreditvertrag. In der Folge musste über das Vermögen der Tochtergesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet werden.
Im Jahre 2009 wurden der alleinige Gesellschafter-Geschäftsführer der Muttergesellschaft (Streithelfer) und der frühere Alleingesellschafter der Muttergesellschaft (Beklagter) auf Grund der Vorgänge im Jahre 2001 wegen Untreue bzw. wegen Anstiftung zur Untreue verurteilt. Der Beklagte hatte die Muttergesellschaft kurz vor den Vorgängen im Jahre 2001 an den Streithelfer zu einem Kaufpreis in Höhe von EUR 5,00 veräußert. Der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft (Kläger) nahm das Strafverfahren zum Anlass gegen den Beklagten nunmehr zivilrechtliche Ansprüche aus Existenzvernichtungshaftung geltend zu machen.
Aus der Sicht des Oberlandgerichtes Koblenz (Berufungsgericht) war der Anspruch bereits verjährt. Der BGH hob die Entscheidung des Berufungsgerichtes demgegenüber - mangels früherer Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Insolvenzverwalters von einer Beteiligung des Beklagten an den Vorgängen im Jahre 2001 - auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Die Sache war zur Endentscheidung nicht reif, da das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen (i) zum Vorliegen eines existenzvernichtenden Eingriffs, (ii) zur Beteiligung des Beklagten sowie (iii) zum ersatzfähigen Schaden getroffen hatte.
Hintergrund
Nach dem sogenannten Trennungsprinzip (§ 13 Abs. 2 GmbHG bzw. § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG) haftet eine Kapitalgesellschaft (anders als eine Personengesellschaft) ihren Gläubigern gegenüber nur mit dem Gesellschaftsvermögen, nicht aber mit dem Vermögen ihrer Gesellschafter. Gerechtfertigt wird das Trennungsprinzip (Trennung zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen) durch die strengen Regeln zur Kapitalaufbringung- und Kapitalerhaltung (§ 19 und § 30 GmbH bzw. § 54 und § 57 AktG). Diese verpflichten die Gesellschafter ein gewisses Mindestvermögen der Gesellschaft in Form von Stamm- bzw. Grundkapital (§ 5 Abs. 1 GmbH bzw. § 7 AktG) vorzuhalten.
In bestimmten Ausnahmefällen kommt auch bei Kapitalgesellschaften ein Durchgriff auf das Vermögen der Gesellschafter in Betracht (§ 128 HGB analog). Zu den Fällen der sogenannten Durchgriffshaftung gehören (i) der Rechtsformmissbrauch, (ii) die Vermögens- bzw. Sphärenvermischung sowie (iii) der existenzvernichtende Eingriff (§ 826 BGB).
Der sogenannte existenzvernichtender Eingriff erfordert - jeweils vorsätzlich - (i) den kompensationslosen Entzug von Gesellschaftsvermögen, (ii) für betriebsfremde Zwecke und (iii) eine dadurch bedingte Herbeiführung oder Vertiefung der Insolvenzreife (§ 16 InsO). Seit der sogenannten „Trihotel“-Entscheidung des BGH handelt es sich um eine reine Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft, vertreten durch den Insolvenzverwalter, nicht aber gegenüber außenstehenden Insolvenzgläubigern (BGH, Urteil vom 16. 7. 2007 - II ZR 3/04).
Mangels besonderer gesetzlicher Bestimmungen unterliegen Ansprüche gegen Gesellschafter nach den Grundsätzen des existenzvernichtenden Eingriffs der Regelverjährung. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei (3) Jahre (§ 195 BGB) und beginnt mit dem Schluss des Jahres (31. Dezember, 24.00 Uhr) in dem (i) der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und (ii) der Gläubiger Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis erlangt hat (a) von anspruchsbegründenden Umständen sowie (b) der Person des Schuldners.
Allerdings sind auch Ansprüche, die der Regelverjährung unterliegen, Gegenstand einer kenntnisunabhängigen Verjährungshöchstfrist von grundsätzlich zehn (10) Jahren (§ 199 Abs. 4 BGB bzw. § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1).
(BGH, Urteil v. 24. Juli 2012 – II ZR 177/11)
Daniel Jamin, LL.M. (Sydney), Rechtsanwalt