Von Hashtags zum Handelsvertreter: Der Balanceakt im digitalen Zeitalter
Die Welt der Influencer hat sich zu einem Milliardenmarkt entwickelt, doch wurde bislang kaum erkannt, wie viele Influencer unter die Schutzvorschriften für Handelsvertreter fallen.
Während Unternehmen Unsummen in Influencer-Werbung pumpen, hinkt das deutsche Vertriebsrecht den modernen Plattformen hinterher. Um potenzielle Fallstricke zu vermeiden, Kosten zu sparen und einen reibungslosen Ablauf im Influencer-Marketing zu gewährleisten, müssen Unternehmen und Influencer das Handelsvertreterrecht verstehen.
Influencer werden auf unterschiedliche Art vergütet. Uns interessieren heute jene Vergütungsmodelle, bei welchen der Influencer eine Provision für alle vermittelten Geschäfte erhält, die z. B. unter Angabe ihres individuellen Rabatt-Codes ausgeführt wurden, welchen sie in ihren Werbeeinheiten zur Verfügung stellen. Damit bewerben die Influencer nicht nur allgemein die Marke des Unternehmens, sondern ihnen kann rechtlich die Vermittlung konkreter Produktkäufe ihrer Follower zugerechnet werden. Bei der Gestaltung eines solchen Influencervertrages dann noch um die Anwendung der strengen Schutzvorschriften des Handelsvertreterrechts herum zu kommen, ist nicht einfach.
Der Influencer – ein Handelsvertreter?
Unter welchen Voraussetzungen fallen nun Influencer unter das Handelsvertreterrecht? Handelsvertreter ist nach § 84 Abs. 1 HGB, wer als selbstständiger Gewerbetreibender dauerhaft verpflichtet ist, für einen anderen Unternehmer konkrete Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.
Selbstständigkeit
Ein Influencer gilt - in Abgrenzung zum Arbeitnehmer - jedenfalls dann als selbstständig nach § 84 Abs. 1 HGB, wenn er für mehrere Unternehmen tätig ist, eigenständig über Arbeitszeit und -ort entscheidet und maßgeblich die Inhalte seiner Tätigkeit gestaltet. Dies wird in der Regel der Fall sein.
Vertriebspflicht
Ein Influencer gilt nur dann nach § 84 Abs. 1 HGB als Handelsvertreter, wenn er vertraglich dazu verpflichtet - und nicht nur berechtigt - ist, konkrete Geschäfte zu vermitteln oder abzuschließen. Diese Beauftragung kann zeitlich begrenzt sein, beispielsweise für eine Saison oder eine Kampagne. Entscheidend ist, dass der Influencer sich um eine unbestimmte Vielzahl von Geschäftsvermittlungen bemühen muss. Abgegrenzt wird durch dieses Merkmal von Maklern und dem Affiliate Marketing, bei welchem regelmäßig nur ein Provisionsrecht im Erfolgsfall vereinbart ist, aber keine Pflicht zum Tätigwerden. Sofern der Influencer zu konkreten Werbemaßnahmen oder einer bestimmten Mindestanzahl von Posts verpflichtet wird, ist eine Vertriebspflicht daher regelmäßig anzunehmen.
Geschäftsvermittlung
Spannend wird es nun bei dem Merkmal der „Geschäftsvermittlung“. Dies erfordert die aktive Einflussnahme auf Interessenten, hier die Follower, um konkrete Geschäftsabschlüsse herbeizuführen. Dies geht über allgemeine Werbung für die Marke des Unternehmers und Kaufanreize hinaus. Alle bereits beabsichtigten Weisungen an den Influencer sind hierbei mit zu berücksichtigen, da diese die spätere Vertragsdurchführung in einem anderen Licht erscheinen lassen können. "Geschäfte" sind dabei weit gefasst und können Waren, Dienstleistungen oder Werkleistungen umfassen. Die Vermittlungstätigkeit des Influencers konzentriert sich auf die Vorbereitung des Geschäftsabschlusses, während der eigentliche Abschluss zwischen Kunde und Unternehmer stattfindet. Entscheidend ist, ob ein Zusammenhang zu konkreten Produkten und konkreten Kundenbestellungen hergestellt werden kann. Dann ist die Grenze zur allgemeinen Bewerbung der Marke überschritten, welche für sich noch keine Handelsvertretereigenschaft begründet. Hierbei besteht gerade im Internetvertrieb ein fließender Übergang.
Der Gesamteindruck der Influencer-Tätigkeiten ist entscheidend. Werbung ohne direkte Vertragsbeziehung zwischen Influencer und werbendem Unternehmen stellt keine Geschäftsvermittlung dar. Hingegen können Posts mit Rabattcodes als Vermittlungstätigkeit betrachtet werden, wenn der Influencer dabei – wie üblich - aktiv dazu beiträgt, konkrete Vertragsabschlüsse herbeizuführen oder er Weisungen erhalten hat, konkrete Produkte in seiner Werbung hervorzuheben.
Die Beurteilung erfolgt durch eine umfassende Analyse aller Umstände des Einzelfalls, wobei Aufgaben des Influencers, Charakter seiner Inhalte und Ausgestaltung der Vergütung relevant sind. Ein Vergütungsmodell, das die konkreten Geschäftsabschlüsse anhand von Rabatt-Codes nachverfolgt, spricht sehr stark dafür, dass hier konkrete Geschäftsabschlüsse vermittelt werden.
Managementagenturen der Influencer sind keine Handelsvertreter
Urteile dazu, ob Influencer als Handelsvertreter einzuordnen sind, gibt es soweit ersichtlich noch keine. In einer umgekehrten Frage hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 27. Juli 2023 – 322 O 386/22 nun entschieden, dass die Agentur eines Influencers kein Handelsvertreter für diesen ist.
Der klägerische Influencer kündigte einen Agenturvertrag mit der beklagten Managementagentur und forderte diese zur Auszahlung von für ihn verwahrten Einnahmen auf. Die Beklagte verlangte widerklagend einen Handelsvertreterausgleich nach § 89b HGB und Rechnungslegung für Geschäfte mit Bestandskunden.
Die Beklagte war als Agentur für die umfassende Förderung, Weiterentwicklung und Konzeption der Werbekarriere des Klägers, sowie für die Beratung seiner Kunden vertraglich zuständig.
Das Landgericht entschied, dass die Beklagte nicht als Handelsvertreterin anzusehen sei und hat damit einen Handelsvertreterausgleichsanspruch abgelehnt. Als Begründung wurde ausgeführt, dass die Beklagte für eine Vielzahl von Influencern tätig wurde, was nicht dem üblichen Profil eines Handelsvertreters entspricht. Des Weiteren überschritten die im Vertrag definierten Rechte und Pflichten der Beklagten die typischen Aufgaben eines Handelsvertreters erheblich.
Gleichzeitig unterlag der Kläger umfangreichen Verpflichtungen, die über die üblichen Aufgaben eines Unternehmers hinausgehen. Dazu gehören gemeinsame Kostenkalkulationen, die Erstellung von Konzepten, die Weiterentwicklung der Eigenpräsentation und die Bereitschaft zur Teilnahme an No-Budget-Produktionen.
Ein weiterer Aspekt, der gegen eine Klassifizierung als Handelsvertreter sprach, war die Verpflichtung der Beklagten zur Entgegennahme von Honorar vom Kunden gemäß den Vertragsbestimmungen. Diese Doppeltätigkeit erinnert eher an die Rolle eines Maklers und steht einer Einordnung als Handelsvertreter entgegen.
Schutzvorschriften und Ausweichlösungen
Sofern der Influencer nach den genannten Voraussetzungen als Handelsvertreter einzuordnen ist, bestehen für den Unternehmer insbesondere Zahlungsrisiken und Mindestkündigungsfristen. Hervorzuheben ist insbesondere der Ausgleichsanspruch in maximal der Höhe einer durchschnittlichen Jahresvergütung, der einem Handelsvertreter bei Vertragsende zusteht. Ferner kann der Handelsvertreter zur Kontrolle seiner Provisionsabrechnung jederzeit grundlos einen Buchauszug fordern, der viele Unternehmer vor einen großen organisatorischen Aufwand stellt. Dies entspricht nicht der Interessenlage des Unternehmers, für den Influencer hingegen ergibt sich hierdurch eine gute Verhandlungsposition bei Beendigung der Zusammenarbeit oder Verhandlung von Verlängerungsverträgen.
Die strikten Vorschriften des Handelsvertreterrechts könnten unter bestimmten Umständen ausgeschlossen werden, wenn es sich um einen bloßen Nebenerwerb des Influencers handelt, der Aufwand zeitlich untergeordnet ist, die Vergütung hinter dem übrigen Erwerb des Influencers zurückbleibt und der Influencer nicht insgesamt haupterwerblich als Handelsvertreter (auch für andere Unternehmen) tätig ist. Dies muss jedoch dann auch noch im Vertrag vereinbart werden.
Ferner besteht die Möglichkeit, durch geschickte Gestaltung die Anwendbarkeit des Handelsvertreterrechts zu vermeiden, etwa bei der Frage der Verpflichtung zum Tätigwerden und der Ausrichtung allgemein auf die Marke statt auf konkrete Produktverkäufe. Treffen diese Möglichkeiten nicht auf den jeweiligen Influencer zu, sind individuelle Gestaltungsüberlegungen anzustellen.
Ohnehin sind die rechtlichen Risiken im Zusammenhang mit Influencerverträgen erheblich, der Überprüfungsaufwand hingegen überschaubar, so dass dringend zu empfehlen ist, Verträge vor Abschluss anwaltlich kontrollieren zu lassen.
(LG Hamburg, Urteil vom 27. Juli 2023 – 322 O 386/22)