Dezember 2012 Blog

Zinsschranke – Verfassungs­mäßigkeit der „Back-to-back“-Aus­nahme ernstlich zweifelhaft

Seit ihrer Einführung durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 ist die Zinsschranke (§ 4h EStG) ein Brennpunkt in der steuerrechtlichen Diskussion. Seit diesem Zeitpunkt werden europa- und verfassungsrechtliche Bedenken gegen sie geäußert. Zentral ist der Vorwurf, die Zinsschranke verstoße gegen das objektive Nettoprinzip. Diese grundsätzliche Frage hat der BFH in dem Beschluss vom 13. März 2012, Aktz. I B 111/11, allerdings offen gelassen. Hingegen hat er bei der summarischen Prüfung in dem AdV-Verfahren ernstliche Zweifel an der Anwendungsvorschrift der Zinsschranke auf sog. „Back-to-back“-Finanzierungen von Körperschaften angemeldet.

Problem

Vorbehaltlich der Anwendungsregelungen ist die Zinsschranke des § 4h Abs. 1 S. 2 EStG nach § 8a Abs. 1 KStG auf Körperschaften entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch für die drei Ausnahmetatbestände der Zinsschranke in § 4h Abs. 2 EStG, die Freigrenze, die „Stand-alone“- oder Konzern-Kausel sowie die „Escape“-Klausel. Nach diesen Ausnahmetatbeständen ist die Zinsschranke grundsätzlich nicht anzuwenden, wenn entweder der die Zinserträge übersteigende Nettozinsaufwand der Körperschaft im Wirtschaftsjahr unter € 3 Mio. liegt (sog. Freigrenze), die Körperschaft nicht konzerngebunden ist (sog. „Stand-alone“- oder Konzern-Klausel) oder bei konzerngebundenen Körperschaften die Eigenkapitalquote der Körperschaft die des Gesamtkonzerns um nicht mehr als 2% unterschreitet (sog. „Escape“-Klausel). Nach § 8a Abs. 2 KStG ist die „Stand-alone“-Klausel allerdings nur anzuwenden, wenn die Vergütungen für Fremdkapital an einen zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligten Anteilseigner, eine diesem nahe stehende Person (§ 1 Abs. 2 AStG) oder einen Dritten, der auf den zu mehr als einem Viertel beteiligten Anteilseigner oder eine diesem nahe stehende Person zurückgreifen kann, nicht mehr als 10% des Nettozinsaufwendungen beträgt und die Kapitalgesellschaft dies nachweist. In seinem Beschluss hat der BFH nun verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einschränkung der „Stand-alone“-Klausel in der zuletzt genannten Regelungsalternative, die „Back-to-back“-Finanzierungen erfassen soll, festgestellt.

Entscheidung

Der Nettozinsaufwand der Antragstellerin im maßgebenden Wirtschaftsjahr 2010 überschritt die € 3 Mio. Freigrenze. Die Antragstellerin war allerdings keine konzerngebundene Kapitalgesellschaft. Ihre Anteile wurden jeweils zu 50% von X und von der Y-GmbH, an der Z unmittelbar und mittelbar zu jeweils 25% beteiligt war, gehalten. Die Antragstellerin hatte sich durch Bankkredite langfristig fremdfinanziert und ihr Mieteingangskonto bei den Banken verpfändet. Weiterhin hatten sich X und Z gegenüber den finanzierenden Banken für die Verbindlichkeiten der Antragstellerin aus der Finanzierung verbürgt. Zwischen den Beteiligten war dabei unstreitig, dass mehr als 10% des Nettozinsaufwandes an die Banken gezahlt wurde.
 
Da die Antragstellerin nicht konzerngebunden war, fand die Zinsschranke nur unter den Voraussetzungen der Rückausnahme von der „Stand-alone“-Klausel, die ausweislich der Gesetzesbegründung sog. „Back-to-back“- Finanzierungen erfassen soll, Anwendung. Derartige aus Sicht des Gesetzgebers missbrauchsanfällige Finanzierungen liegen vor, wenn ein Dritter der Körperschaft ein Darlehen gewährt und der zu mehr als einem Viertel beteiligte Anteilseigner (oder eine diesem nahestende Person im Sinne des AStG) seinerseits gegen den Dritten oder eine sonstige Person eine Forderung hat, auf die der Dritte zugreifen kann. Diese Konstellation lag im Streitfall allerdings nicht vor. Die Rückausnahme der Zinsschranke erfasste aber dennoch auch den vorliegenden Fall, da die Bank ein Darlehen gewährt hatte, wofür eine Bürgschaft eines Gesellschafters sowie einer nahe stehenden Person bestand.
 
Diese weitgehende Regelung hat der BFH nun im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie dem Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finalen Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit verfassungsrechtlich angezweifelt. Nach seiner Auffassung könnte der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen einer zulässigen Typisierung überschritten haben, denn es sei fraglich, ob diese Regelung erforderlich sei. Zielsetzung der Einführung der Zinsschranke war die Sicherung des inländischen Besteuerungssubstrats sowie die Vermeidung von missbräuchlichen Steuergestaltungen, durch die, insbesondere bei grenzüberschreitend verbundenen Unternehmen der aus inländischem Zinsaufwand resultierende steuerpflichtige Zinsertrag in das Ausland verlagert wurde. Eine solche Verlagerung ist jedoch aufgrund einer Bürgschaft des Gesellschafters oder einer diesem nahe stehenden Person gegenüber einer Bank nicht möglich. Dass die Regelung nicht auf den Fall einer „Back-to-back“-Finanzierung beschränkt sei, sondern auch den Streitfall erfasse, in dem eine Bank ein Darlehen gewährt und hierfür eine Bürgschaft oder andere Sicherheit eines Gesellschafters oder einer nahe stehenden Person erhält, die nicht die Gefahr einer Gewinnverlagerung begründet, sieht der BFH als einen deutlich überschießenden Anwendungsbereich der Rückausnahme im Verhältnis zur Zwecksetzung der Regelung an. Eine gesetzliche Typisierung müsse sich aber realitätsgerecht am typischen Fall orientieren. Hingegen sei eine Bürgschaft in der Regel allein erforderlich, damit die Körperschaft das Darlehen erhält.

Der BFH hat in dem AdV-Antrag auch ein Aussetzungs- oder Aufhebungsinteresse aufgrund der verfassungsrechtlichen Zweifel anerkannt. Dabei hat er die wirtschaftlichen Folgen für die Antragstellerin mit den Auswirkungen für die öffentliche Haushaltsführung konkret verglichen. Ausreichend für das Aussetzungs- oder Aufhebungsinteresse war dabei, dass die Antragstellerin nicht die notwendige Liquidität zur Begleichung der Mehrsteuern besaß, um die in diesem Fall eintretende Substanzbesteuerung zu decken, und dass die zusätzliche Fremdkapitalaufnahme in den Folgejahren voraussichtlich die Wirkung der Zinsschranke verschärfen würde. Demgegenüber traten die geringen haushaltsmäßigen Auswirkungen der Mehreinnahmen durch die Zinsschranke im Vergleich zu dem Gesamtsteueraufkommen zurück, wobei der BFH darauf hinweist, dass seinen Entscheidungen anders als denen des BVerfG keine unmittelbare, sondern allenfalls mittelbare Breitenwirkung zukommen und damit geringere Auswirkungen habe.

Praxisfolgen

Im Hinblick auf vergleichbare Fälle sollten Steuerpflichtige Veranlagungen bis zum Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen halten. Darüber hinaus ist die Entscheidung auch im Hinblick auf die Überprüfung anderer Missbrauchsregelungen wegweisend. Denn auch bei anderen Regelungen muss gewährleistet sein, dass die gesetzgeberische Intention grundsätzlich zielgenau und nicht aus Umgehungsschutzgründen mit einer breiten Streuwirkung überschießend umgesetzt wird.

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