September 2023 Blog

Zur Aufklärungspflicht eines Immobilienverkäufers

Allgemein bekannt ist, dass dem Verkäufer einer Immobilie Aufklärungspflichten obliegen, soweit es sich um erhebliche Tatsachen handelt über die der Käufer nach der Verkehrsanschauung redlicher Weise eine Aufklärung erwarten durfte. Dass ein kurz vor dem Notartermin noch in den virtuellen Datenraum eingestelltes Dokument dieser Aufklärungspflicht im Einzelfall nicht genügt, hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Die Verkäuferin verkaufte dem Käufer mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex. Der Kaufpreis hierfür betrug rund EUR 1,5 Millionen. Es handelte sich dabei um nach dem WEG aufgeteiltes Eigentum. Dabei versicherte die Verkäuferin vertraglich, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftig fällige Sonderumlage ergebe, mit Ausnahme eines Beschlusses über die Dachsanierung mit wirtschaftlichen Auswirkungen von rund EUR 5.000  jährlich für den Käufer.

Zudem versicherte die Verkäuferin, dass nach ihrer Kenntnis außergewöhnliche, durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckte Kosten im laufenden Wirtschaftsjahr nicht angefallen seien und ihr auch nicht bekannt sei, dass solche Kosten bevorstünden oder weitere Sonderumlagen beschlossen worden seien.

Im Kaufvertrag ist außerdem festgehalten, dass der Verkäufer dem Käufer die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre übergeben habe und der Käufer Kenntnis von dem Inhalt der Unterlagen habe.

Der Käufer führte vor Kaufvertragsabschluss eine Ankaufsprüfung („Due Diligence“) durch. Hierzu hatte die Verkäuferin einen elektronischen Datenraum eingerichtet, in welchem sie dem Käufer verschiedene Unterlagen zum Kaufobjekt zur Verfügung stellte. Die Bereitstellung der Dokumente erfolgt dabei wohl sukzessive, jedenfalls wurde erst drei Tage vor Beurkundung, und zwar am Freitag vor der an einem Montag stattfindenden Beurkundung, ein Protokoll einer bereits Jahre zuvor stattgefundenen Eigentümerversammlung eingestellt. Aus diesem Protokoll ergibt sich - kurz gefasst - eine mögliche Inanspruchnahme der Eigentümer der Gewerbeeinheiten und damit (anteilig) auch des Käufers wegen erfolgter Umbaumaßnahmen in Höhe von insgesamt EUR 50 Millionen.

Nach dem Kauf wurde der Käufer wegen dieser vorgenannten Kosten auch tatsächlich (anteilig) in Anspruch genommen.

Der Käufer erklärte daraufhin u.a. die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und forderte die Rückabwicklung des Kaufvertrages und begründete dies mit der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch die Verkäuferin.

Entscheidung

Während die Vorinstanzen keine Verletzung der Aufklärungspflichten durch die Verkäuferin sahen, bejaht der BGH eine Verletzung der Aufklärungspflicht und hat die Sache zur neuen Entscheidung an das vorinstanzliche Berufungsgericht zurückgewiesen.

Der BGH ist der Auffassung, dass „der Verkäufer eines bebauten Grundstücks, der dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zu der Immobilie gewährt, hierdurch seine Aufklärungspflicht nur erfüllt, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird.“

Dabei geht es nicht um die Frage eines Sachmangels, sondern alleine um den Verstoß gegen eine der Verkäuferin obliegende Aufklärungspflicht über erhebliche Umstände in Bezug auf den Kaufgegenstand. Die Haftung der Verkäuferin ergebe sich aus einem Verschulden bei Vertragsschluss wegen unterbliebener Aufklärung aus § § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB.

Die Frage, ob die Kostenposition von EUR 50 Millionen für Baumaßnahmen für den Käufer in diesem Sinne „von erheblicher Bedeutung“ sei, bejaht der BGH ohne weiteres Federlesen. Da dieser Umstand auch nicht offensichtlich, etwa aus einer Besichtigung des Kaufgegenstandes hervorging, stellt der BGH auch das Vorliegen einer entsprechenden Aufklärungspflicht fest.

Diese Aufklärungspflicht hat die Verkäuferin mit dem Einstellen des Protokolls der Eigentümerversammlung drei Tage vor Beurkundung jedoch nicht genügt. Alleine die Möglichkeit des Käufers sich aus den übergebenen Unterlagen die Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand zu verschaffen reiche, so der BGH, nicht von vornherein aus. Vielmehr kommt es auch hier auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei sind bezüglich übergebener Unterlagen die dort enthaltenen Umstände - entsprechend einer Besichtigung - nur dann offenkundig, wenn „ein Verkäufer aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird.“ Als Beispiel nennt der BGH ein Sachverständigengutachten, dass sich auf einen konkreten Sachmangel bezieht. Allgemeine Unterlagen dagegen, bei denen ein bestimmter Umstand nur unter anderen erwähnt wird reichen nach Auffassung des BGH daher wohl nicht aus.

Der BGH in seiner Presseerklärung weiter wörtlich: „Nur wenn im Einzelfall die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Käufer bestimmte, von dem Verkäufer in dem Datenraum bereit gestellte Informationen – etwa im Rahmen einer Due Diligence – wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird, ist eine gesonderte Aufklärung durch den Verkäufer nicht erforderlich.“

Als weitere Kriterien nennt der BGH dabei ausdrücklich die Strukturiertheit und Organisation des Datenraumes, somit letztlich die Auffindbarkeit der Information im Datenraum einerseits sowie die Wichtigkeit der Information für den Käufer andererseits.

Besonderheit im vorliegenden Fall war, dass - so liest es sich in der bisher allein veröffentlichen offiziellen Pressemeldung des BGH - der Käufer über die Einstellung der fraglichen Unterlagen drei Tage vor Beurkundung nicht informiert wurde und - so der BGH - für den Käufer kein Anlass bestanden habe, hier noch einmal in den Datenraum zu schauen.

Im Übrigen begründet der BGH die Rückverweisung aber auch damit, dass die Verkäuferin im Kaufvertrag eine unzutreffende Zusicherung zu den Instandhaltungsrücklagen bzw. Kosten von Baumaßnahmen gemacht habe.

Praxishinweise

Die Entscheidung des BGH ruft in Erinnerung, dass für den Käufer erhebliche Tatsachen ausdrücklich im Rahmen der Kaufvertragsverhandlungen angesprochen und idealerweise sogar im Kaufvertrag abgebildet werden sollten. Bei einer ungeklärten Umlage von Instandhaltungskosten in Höhe von EUR 50 Millionen scheint das auch nachvollziehbar. Wo aber genau die Grenze von einer „erheblichen“ und damit aufklärungspflichtigen Tatsache zu einer „unerheblichen“ Tatsache liegt ist fließend und abhängig vom Einzelfall. Was aber für den Verkäufer selbstverständlich sein sollte, ist ein geordneter, gut strukturierter Datenraum, eine zeitlich rechtzeitige Zurverfügungstellung von Unterlagen sowie die präzise Formulierung von etwaigen Zusicherungen im Kaufvertrag.

(Pressemitteilung des BGH, Nr. 159/2023 vom 15.09.2023 zu BGH, Urteil vom 15. September 2023 – V ZR 77/22; Entscheidungsgründe zum Red.-Schluss noch nicht veröffentlicht)

 

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