Zuschlag erfolgt zu ausgeschriebenen Fristen – auch wenn diese überholt sind
Ein Zuschlag in einem verzögerten Vergabeverfahren erfolgt im Zweifel selbst dann zu den ausgeschriebenen Fristen und Terminen, wenn diese nicht mehr eingehalten werden können und das Zuschlagsschreiben den Hinweis auf später „noch mitzuteilende exakte Fristen“ enthält.
Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 25.11.2010 (VII ZR 2001/08) klargestellt, als er jüngst erneut über Mehrvergütungsansprüche eines Auftragnehmers wegen einer Bauzeitverschiebung infolge eines verzögerten Vergabeverfahrens zu entscheiden hatte.
In dem konkreten Fall hatte der Auftraggeber Brückenbauarbeiten ausgeschrieben und für die beiden Bauabschnitte jeweils bestimmte Ausführungsfristen festgelegt. Wegen Verzögerungen im Planfeststellungsverfahren bat der Auftraggeber die Bieter um Zustimmung zur Verlängerung der Bindefrist. Der spätere Bestbieter erklärte sich damit einverstanden „vorbehaltlich der noch ausstehenden Klärung der Vergütung der Mehrkosten durch die Bauzeitverschiebung“. In der Niederschrift über ein nachfolgendes Aufklärungsgespräch zwischen Auftraggeber und Bestbieter wurde vermerkt, dass die genauen Ausführungsfristen mit dem Zuschlagsschreiben benannt würden. Der Bestbieter erhielt den Zuschlag unter Festlegung neuer Ausführungsfristen für den ersten Bauabschnitt sowie mit dem Hinweis, dass nach Überarbeitung der Gesamtablaufplanung kurzfristig die exakten Fristen für den zweiten Bauabschnitt mitgeteilt werden. Diese Mitteilung erfolgte erst sechs Monate nach den ursprünglich in der Ausschreibung angegebenen Ausführungsfristen. Nach Ausführung der Arbeiten machte der Auftragnehmer Mehrvergütungsansprüche geltend. Der Auftraggeber lehnte diese ab, da eine verbindliche Bauzeit für den zweiten Bauabschnitt nie vereinbart worden sei und es damit an einer bauzeitändernden Anordnung fehle.
Zu Unrecht! Der Zuschlag – so der BGH – sei zu den ausgeschriebenen Fristen und Terminen erfolgt, selbst wenn diese nicht mehr eingehalten werden können.
Das Zuschlagsschreiben mit dem Hinweis auf später „noch mitzuteilende exakte Fristen“ führe nicht zu einer Änderung der Ausführungsfristen. Der BGH begründet dies mit dem Grundsatz der vergaberechtskonformen Auslegung, nach dem in einem formalisierten Vergabeverfahren Erklärungen so zu verstehen sind, dass sie im Einklang mit dem Vergaberecht stehen (vgl. BGH, Urteil vom 10.09.2009 - VII ZR 152/08). Vergaberechtskonform sei aufgrund des Nachverhandlungsverbotes gemäß § 24 Nr. 3 VOB/A a. F. (jetzt § 15 Abs. 3 VOB/A 2009) alleine der Zuschlag auf das unveränderte Angebot. Das Festhalten des Bieters an seinem Angebotspreis in Unkenntnis der Ausführungsfristen wäre zudem ein unzulässiges ungewöhnliches Wagnis gemäß § 9 Nr. 2 VOB/A a. F. (jetzt § 7 Nr. 1 Abs. 3 VOB/A).
Will der Auftraggeber mit dem Zuschlag gleichwohl von dem Angebot des Bieters abweichen, müsse er dies in dem Zuschlagsschreiben klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen. Bei derartigen Änderungen müsste wiederum der Bieter bei Erteilung des Zuschlags aufgefordert werden, sich unverzüglich über die Annahme zu erklären (§ 18a Abs. 2 VOB/A 2009). Inwieweit das in einem formellen Vergaberechtsverfahren überhaupt zulässig ist, sei hier dahingestellt. All dies sei hier ja gerade nicht der Fall: Der Hinweis auf die später mitzuteilenden Fristen sei als bloßer Hinweis auf eine derzeit noch nicht mögliche, später jedoch zwingend erforderliche einverständliche Anpassung der Bauzeit an die tatsächlichen Gegebenheiten zu verstehen.
Dementsprechend sei das Verhalten der Parteien dahin auszulegen, dass sie den Vertrag zwar bereits bindend schließen, über neue Fristen und – konsequenterweise – über eine angepasste vertragliche Vergütung jedoch noch eine Einigung herbeiführen wollen (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2009 - VII ZR 11/08). Da es zu einer solchen Einigung nicht gekommen sei, stehe dem Auftragnehmer ein Mehrvergütungsanspruch in Anlehnung an § 2 Nr. 5 VOB/B a. F. (jetzt § 2 Abs. 5 VOB/B) zu.
Fazit:
- Ein Zuschlag erfolgt im Zweifel zu den ausgeschriebenen Fristen und Terminen, selbst wenn diese nicht mehr eingehalten werden können.
- Will der Auftraggeber mit dem Zuschlag von dem Angebot des Bieters abweichen, muss er dies in dem Zuschlagsschreiben klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen. Der Hinweis auf später „noch mitzuteilende exakte Fristen“ genügt nicht.
In seinem Urteil vom 22.10.2010 (VII ZR 213/08) war der BGH sogar noch weiter gegangen: Dort hatte der Auftraggeber in dem Zuschlagsschreiben einseitig ausdrücklich neue Ausführungsfristen festgelegt. Auch in diesem Fall sei der Vertrag – so der BGH unter Verweis auf den Grundsatz der vergaberechtskonformen Auslegung – mit den ursprünglichen Ausführungsfristen zustande gekommen. - Haben sich die Parteien über etwaige Mehrkosten nicht geeinigt, hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf Anpassung der vertraglichen Vergütung in Anlehnung an § 2 Nr. 5 VOB/B a. F. (jetzt § 2 Abs. 5 VOB/B).
Rechtsanwälte Dr. Ingrid Reichling, Loni Goldbrunner, Tobias Osseforth Mag.rer.publ., München