Juli 2021 Blog

Pflicht zur Be­grenzung von Rahmen­verein­barungen im Vergabe­recht

Öffentliche Auftraggeber sind bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen verpflichtet, in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen sowohl die Schätzmenge als auch eine Höchstmenge der zu liefernden Waren anzugeben. Bei Überschreitung der Höchstgrenze verliert die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung.

Sachverhalt

Im Jahr 2019 schrieben die Regionen Nordjylland (Nordjütland) und Syddanmark (Süddänemark) im offenen Verfahren den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über den Erwerb von Ausrüstungen für die künstliche Ernährung über Sonden aus. Die Auftragsbekanntmachung enthielt weder Angaben zum geschätzten Wert der Beschaffungen, noch zum Höchstwert der Rahmenvereinbarung oder zur geschätzten Menge / Höchstmenge der nach der Rahmenvereinbarung zu beschaffenden Waren. In den Vergabeunterlagen wurden Angaben zu geschätzten Verbrauchsmengen getätigt. Der Auftraggeber verpflichtete wies jedoch explizit darauf hin, dass der tatsächliche Verbrauch sich als höher oder niedriger, als in den Unterlagen angegeben, erweisen könne.

In dem vom unterlegenen Bieter Simonsen & Weel A/S wegen Verstoßes gegen Art. 18 Abs. 1, 49 und Anhang V Teil C Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU eingeleiteten Nachprüfungsverfahren legte das dänische Gericht dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob die Richtlinie 2014/24/EU den Auftraggeber verpflichte, in der Bekanntmachung die Schätzmenge und/oder der Schätzwert sowie eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren anzugeben und ob die Rahmenvereinbarung bei Erreichen dieser Menge oder dieses Wertes ihre Wirkung verliere.

Entscheidung

Der Gerichtshof bestätigte zunächst die Pflicht zur Angabe sowohl einer Schätzmenge / eines Schätzwerts als auch einer Höchstmenge / eines Höchstwerts der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren in der Bekanntmachung. Diese im Wortlaut der Richtlinie nicht explizit ausgedrückte Verpflichtung folgert die Kammer aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz sowie der Systematik der Richtlinie 2014/24/EU. Ausreichend ist allerdings die Angabe der Höchstgrenze in der Beschreibung in den Vergabeunterlagen. Sofern diese Höchstgrenze erreicht ist, verliert die Rahmenvereinbarung nach Auffassung des EuGHs ihre Wirkung. 

Die erhebliche Bedeutung eines transparenten Schätz- sowie Höchstwerts der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren liegt in der Möglichkeit des Bieters, auf Grundlage dieser Werte seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung zu beurteilen. Das Risiko für öffentliche Auftraggeber einer Nicht- oder Schlechtleistung des Auftragnehmers sowie das Risiko für Auftragnehmer einer vertraglichen Haftung wegen Nichterfüllung bei Überschreiten einer Höchstmenge durch den Auftraggeber kann dadurch minimiert werden.

Darüber hinaus entschied der EuGH, dass bei der Beteiligung mehrerer Rahmenvertragspartner die Angabe einer Gesamthöchstgrenze ausreicht. Außerdem liegt bei fehlender Angabe der Werte kein Verstoß gegen Art. 2d Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/665 vor, da ein solcher Vergabeverstoß offensichtlich ist und rechtzeitig gerügt werden kann. Eine erfolgte Auftragsvergabe ist somit nicht aufgrund der fehlenden Angaben zu Schätzwert / Schätzmenge sowie Höchstwert / Höchstmenge unwirksam.

Praxishinweise

Die Entscheidung hat nicht nur Auswirkungen auf neu abzuschließende Rahmenvereinbarungen. Auftraggeber sollten im Hinblick auf den Verlust der Wirkung einer Rahmenvereinbarung bei Überschreiten der Höchstgrenze vielmehr auch bereits bestehende Rahmenvereinbarungen auf die Festlegung einer Höchstgrenze überprüfen. Dabei auch Aufträge zu berücksichtigen, die auf bereits ausgelaufenen Rahmenvereinbarungen beruhen, wenn ihre Laufzeit über die Laufzeit der Rahmenvereinbarung hinausgeht.

Die Festlegung des Höchstwertes / der Höchstmenge ist außerdem von erheblicher Bedeutung für die Bewertung, ob eine Änderung der Höchstgrenze als wesentliche Auftragsänderung nach § 132 Abs. 1 GWB möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass auch eine unwesentliche Änderung nach der Entscheidung des EuGHs wohl die Zustimmung des Zuschlagsempfängers erfordert (Rn. 70). 

Unklar bleibt, ob nach Überschreiten der Höchstgrenze die Möglichkeit von Einzelvergaben neben der Rahmenvereinbarung (vgl. VK Rheinland, Beschluss vom 23.06.2020 – Az. VK 15/20) besteht oder die Überschreitung eine Sperrwirkung für die erneute Vergabe desselben Auftragsgegenstands eintritt (vgl. Müller-Wrede, VergabeNavigator Sonderausgabe/2019, S. 21).

EuGH, Urt. v. 17.06.2021, C 23/20 – Simonsen & Weel

Greta Marie Sürmann, Rechtsanwältin
Düsseldorf

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