März 2016 Blog

Antidumpingzölle auf Lederschuhe aus China und Vietnam teilweise ungültig

Erneut hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Verfahrensrechte ausführender Hersteller im Antidumping-Verfahren gestärkt. Wie bereits im Februar 2012 in der sog. „Brosmann-Entscheidung“ bekräftigte der EuGH in seinem jüngsten Urteil, dass die EU-Kommission verpflichtet ist, über Anträge von Unternehmen auf „marktwirtschaftliche Behandlung“ bzw. „individuelle Behandlung“ zu entscheiden und zwar selbst dann, wenn diese Hersteller nicht Teil der angewandten Stichprobe waren und ungeachtet des Verwaltungsaufwands.

Die Entscheidung

Zwei namhafte Schuhhersteller hatten vor einem britischen bzw. einem deutschen Gericht gegen ihnen auferlegte Antidumpingzölle für Schuhimporte aus China und Vietnam geklagt. Im ersten Fall ging es um rund 60. Mio. EUR, im zweiten Fall immerhin 5,1 Mio. EUR. Auf Vorlage der beiden Gerichte erklärte der EuGH die zugrundeliegende Verordnung Nr. 1472/2006 vom 5. Oktober 2006 insoweit für ungültig, als sie Hersteller betraf, deren Anträge auf „marktwirtschaftliche“ bzw. „individuelle Behandlung“ nicht berücksichtigt worden waren.

Hintergrund sind die Regelungen über das Verfahren zur Auferlegung von Antidumpingzöllen gemäß der Antidumping-Grundverordnung (aktuell Verordnung Nr. 1225/2009 vom 30. November 2009). Dieses Verfahren räumt Herstellern zwei wichtige Rechte ein. Erstens können Produzenten aus Herkunftsländern, die nicht als Marktwirtschaft gelten, eine „marktwirtschaftliche Behandlung“ beantragen. Normalerweise werden die Exporte des Landes mit dem sog. „Normalwert“ verglichen, dem Preis für vergleichbare Warenverkäufe im normalen Handelsverkehr innerhalb des Ausfuhrlandes. Bei nicht-marktwirtschaftlichen Exportländern ist das jedoch nicht möglich, weil vermutet wird, dass die Preise hier nicht frei gebildet werden. Bei der Prüfung eines Dumpings in Nichtmarktwirtschaften wird daher der Vergleichspreis in anderen, als Marktwirtschaft eingestuften Drittländern ermittelt. Zweitens können betroffene Hersteller bei der Festsetzung des konkreten Antidumping-Zollsatzes ansetzen. Hier kann eine „individuelle Behandlung“ beantragt werden, d.h. ein unternehmensspezifischer Zollsatz, anstelle des sonst allgemein für alle Hersteller des Ausfuhrlandes anwendbaren Zollsatzes.

Im konkreten Fall hatte die EU-Kommission nur über die Anträge derjenigen Hersteller entschieden, die in die Stichprobe einbezogen worden waren. Die Hersteller, die nicht Teil der Stichprobe waren, erhielten hingegen keinen Bescheid ihrer entsprechenden Anträge. Die in der Folge gegen sie festgesetzten Antidumpingzölle sah der EuGH daher als ungültig an. Er bekräftigte, dass die Kommission verpflichtet sei, ungeachtet der Stichprobenbildung über die Anträge zu entscheiden. Auch könne nicht mit dem Argument einer übermäßigen Belastung bzw. eines zu hohen Verwaltungsaufwands rechtfertigt werden. Über die Anträge müsse in jedem Fall entschieden werden.

Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung betrifft zwar zunächst nur einen konkreten Einzelfall, könnte aber für die Praxis durchaus von Bedeutung sein. Antidumpingzölle gelten mittlerweile für eine Vielzahl an Waren (von Fahrrädern bis Fotovoltaik-Modulen) aus unterschiedlichsten Herkunftsländern. Sie sind in der Regel so hoch, dass sie die Wirtschaftlichkeit der Importe in Frage stellen. Es scheint durchaus vorstellbar, dass vergleichbare Fehler auch in anderen Antidumping-Verfahren geschehen sind. Von Antidumping-Zöllen betroffene Unternehmen sollten also prüfen, ob und inwiefern „ihre“ Hersteller gegebenenfalls Anträge im Antidumping-Verfahren gestellt hatten und ob diese Anträge ordnungsgemäß beschieden wurden. Unter Umständen kann sich hieraus einerseits in Einspruchsverfahren gegen Einfuhrabgabenbescheide, andererseits aber auch im Rahmen des Erstattungsverfahrens für frühere Einfuhren eine Aufhebung der Zölle erreichen. Zum letzteren Punkt enthält die EuGH-Entscheidung noch einen weiteren klarstellenden Hinweis. So entschied der Gerichtshof, dass die Drei-Jahres-Frist gemäß Art. 236 ZK ungeachtet der Entscheidung des EuGH über die Wirksamkeit der Antidumping-Zollverordnung zu beachten ist; eine etwaige Aufhebung einer solchen Verordnung zwischen Unionsrichter stelle weder ein unvorhergesehenes Ereignis noch höhere Gewalt im Sinne des Art. 236 Abs. 2 ZK dar.

(EuGH, Urt. v. 4. Februar 2016, verb. Rs. C-659/13 und C-34/4 – „C & J Clark Int. Ltd.“ und „Puma SE“; zum Text der Entscheidung gelangen Sie hier.)

Adrian Loets, LL.M., Rechtsanwalt
Hamburg

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