November 2023 Blog

„Beginn der Arbeiten“ im Rahmen von Beihilfenmaß­nahmen für erneuerbare Energieanlagen

Anmerkung zu EuGH, Rechtssache C‑11/22 (Est Wind Power OÜ ./. Elering AS)

Erneuerbare Energien spielen spätestens seit dem „Green Deal“ der Europäischen Kommission eine herausragende Rolle in der Industriepolitik im Binnenmarkt. Der EuGH beschäftigte sich in einer neuen Entscheidung mit der Auslegung der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020 („UEBLL“), insbesondere mit der Auslegung des Begriffs „Beginn der Arbeiten“. Dieser Begriff ist nicht nur relevant für den Anreizeffekt von Beihilfen, sondern auch für den Vertrauensgrundsatz der UEBLL und ihrer Nachfolger, den Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2022 („KUEBLL“). Zur Auslegung dieses Begriffs hat sich der EuGH am 12. Oktober 2023 in einer Vorabentscheidung ausführlich geäußert.

Sachverhalt

Der Entscheidung des EuGH lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Est Wind Power OÜ („EWP“) ist ein estnisches Unternehmen, das sich auf den Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere Windkraftanlagen, spezialisiert hat. Im Jahre 2004 begann EWP mit den Vorbereitungen für die Errichtung eines Windparks in der Gemeinde Toila. Hierzu schloss EWP ein Anschlussvertrag mit der Gemeinde und zahlte ca. 500.000 Euro für den Netzanschluss an Elering AS („Elering“), einen nationalen Übertragungsnetzbetreiber für Strom und Erdgas mit Hauptsitz in Tallinn, Estland. Im Jahre 2008 wurden auf dem Gelände zudem Windmessmasten für ca. 200.000 Euro installiert und im Jahre 2010 Erbbaurechte an 28 Grundstücken erworben, auf denen später die Windkraftanlagen installiert werden sollten. 2016 veröffentlichte die Gemeinde dann Planungsbedingungen für den Windpark und EWP stellte einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung. Im selben Jahr stoppte jedoch das estnische Verteidigungsministerium das Projekt. Gegen diese Entscheidung erhob EWP Klage, ein rechtskräftiges Urteil steht noch aus. Dennoch beantragte EWP 2020 bei Elering die Feststellung, dass das Investitionsvorhaben für die Errichtung des Windparks die estnischen beihilferechtlichen Vorgaben für Erzeuger erneuerbarer Energien erfülle und dementsprechend beihilfefähig sei. Elering lehnte dies ab, da EWP aufgrund des mangelnden Fortschritts des Projekts am maßgeblichen Stichtag (31. Dezember 2016) nicht als „bestehender Erzeuger“ im Sinne des estnischen Strommarktgesetzes anzusehen sei. Hiergegen erhob EWP Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Die für den Ausgangsrechtsstreit streitentscheidenden Beihilfenvorschriften des estnischen Strommarktgesetzes wurden durch den Beschluss C (2017) 8456 der Kommission vom 6. Dezember 2017 für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt. Besagter Beschluss nahm dabei die Erwägungsgründe der UEBLL in Bezug, weshalb die Auslegung von EU-Recht für diesen Rechtsstreit von Bedeutung ist und das estnische Verwaltungsgericht dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung insgesamt 8 Fragen zur Auslegung der UEBLL vorlegte.

Entscheidung

Der EuGH entschied zunächst im Rahmen der Zulässigkeit, dass die UEBLL zwar grundsätzlich kein unmittelbar verbindliches Recht für die Mitgliedsstaaten darstellen, sondern lediglich die Ausübung des Ermessens der Kommission bei der Prüfung der Zulässigkeit von Beihilfen nach Art. 107 Abs. 3 AEUV lenken. Eine Außenwirkung besteht mithin nur mittelbar über die unionsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung. Da jedoch in dem Beschluss, mit dem die estnischen Energiebeihilfen genehmigt wurden, auf die UEBLL Bezug genommen wurde, erlangten diese den Status von für den betreffenden Mitgliedstaat verbindlichem Unionsrecht (vgl. Art. 288 Abs. 4 AEUV). Durch diese „Inkorporierung“ in den Beschluss entfalteten die Leitlinien nun also unmittelbare Außenwirkung gegenüber Estland als Adressat und Fragen zu ihrer Auslegung waren somit vorlagefähig.

Zu den Vorlagefragen stellte der EuGH sodann klar, dass Abschnitt 1.2 Rn. (44) der UEBLL in Verbindung mit dem 42. Erwägungsgrund des Beschlusses C (2017) 8456 dahin auszulegen sei, dass der Begriff „Beginn der Arbeiten

  • zum einen den Beginn der Bauarbeiten für die Anlage eines Investitionsvorhabens, das die Erzeugung erneuerbarer Energie ermöglicht, und
  • zum anderen eine andere Verpflichtung, die nach ihrer Art und ihren Kosten das betreffende Investitionsvorhaben am 1. Januar 2017 in ein solches Entwicklungsstadium geführt hat, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit fertiggestellt werden kann, erfasst.

Weiterhin sei Abschnitt 1.2 Rn. (44) der UEBLL in Verbindung mit den Erwägungsgründen 42 bis 44 des Beschlusses C (2017) 8456 dahin auszulegen, dass die zuständige nationale Behörde bei der Feststellung des „Beginns der Arbeiten“ im Sinne von Abschnitt 1.2 Rn. (44) der UEBLL verpflichtet ist, eine Analyse des Entwicklungsstadiums des betreffenden Investitionsvorhabens und der Wahrscheinlichkeit seiner Fertigstellung im Einzelfall vorzunehmen, die sich nicht auf eine rein tatsächliche oder formale Beurteilung beschränken darf und je nach Fall eine eingehende wirtschaftliche Analyse erfordern kann.

Letztlich sei Abschnitt 1.2 Rn. (44) der UEBLL in Verbindung mit dem 42. Erwägungsgrund des Beschlusses C (2017) 8456 dahin auszulegen, dass

  • der Begriff „Beginn der Arbeiten“ notwendigerweise voraussetzt, dass der Vorhabenträger über einen Rechtsanspruch auf die Nutzung des Grundstücks, auf dem das betreffende Investitionsvorhaben verwirklicht werden soll, und über eine erforderliche staatliche Genehmigung für die Durchführung dieses Vorhabens verfügt,
  • der in diesem 42. Erwägungsgrund verwendete Begriff „erforderliche staatliche Genehmigung für die Durchführung des Vorhabens“ im Licht des nationalen Rechts dahin auszulegen ist, dass sie als endgültige staatliche Genehmigung die Durchführung der mit dem betreffenden Investitionsvorhaben verbundenen Bauarbeiten erlaubt, und
  • ein am 1. Januar 2017 anhängiger Rechtsstreit über die Verweigerung einer solchen Genehmigung, der die Fortsetzung dieses Vorhabens behindert, bei der Beurteilung des Entwicklungsstadiums des Vorhabens zu diesem Zeitpunkt nicht zu berücksichtigen ist.

Ausdrücklich befasste sich der EuGH dabei nicht mit der Überprüfung eines vermuteten oder tatsächlichen Anreizeffekts, sondern lediglich mit der Frage, welche Voraussetzungen das Unionsrecht für ein schutzwürdiges Vertrauen des Vorhabenträgers beinhaltet. Dieses bildete den Kern des Urteils, denn der Anreizeffekt war bereits durch den Beschluss C (2017) 8456 durch die Kommission endgültig festgestellt worden.

Praxishinweis

Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Leitlinien der Kommission im Zusammenhang mit dem Verständnis der Vereinbarkeitstatbestände des Art. 107 Abs. 3 AEUV zwar grundsätzlich nur ermessenslenkende Innenwirkung für die Kommission haben, ihnen jedoch erstens mittelbare Außenwirkung durch den Gleichbehandlungs- sowie Vertrauensgrundsatz zukommen und überdies sogar Außenwirkung, wenn sie in einem den jeweiligen Mitgliedstaat bindenden Beschluss der Kommission in Bezug genommen werden. Entsprechend sind die billigenden Beschlüsse der Kommission und die dort in Bezug genommenen Leitlinien bei der Bewertung der Beihilfenfähigkeit genau zu prüfen.

Bei der Generalisierung der weiteren Aussagen des Urteils ist Vorsicht geboten, denn diese beziehen sich auf die Konstellation im konkreten Einzelfall, i.e. einen den Staat Estland bindenden Beschluss der Kommission, der die UEBLL ausdrücklich in Bezug nimmt.

Jedenfalls gibt die Entscheidung neue Details an die Hand, wie der Begriff des „Beginn[s] der Arbeiten“ des UEBLL auszulegen ist, wenn und soweit die UEBLL Außenwirkung entfaltet. Dieser Begriff ist eben nicht nur für den Vertrauensschutz der Rn. 126 der UEBLL relevant, sondern auch für den Anreizeffekt, also für den Ausschluss der Beihilfe bei vorzeitigem Maßnahmenbeginn.

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