Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – praktisch wichtige Gesetzesergänzung
Im Rahmen des Teilhabestärkungsgesetzes („Gesetz zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sowie zur landesrechtlichen Bestimmung der Träger von Leistungen für Bildung und Teilhabe in der Sozialhilfe“ vom 2.6.2021 (BGBl. 1, 1387 ff [1395]), das ganz überwiegend erst zum 1.1.2022 in Kraft tritt, hat der Gesetzgeber die gesetzliche Grundlage des BEM erweitert und in § 167 Abs. 2 SGB IX einen neuen Satz 2 eingefügt; die bisherigen Sätze 2 ff bilden nun inhaltlich unverändert die Sätze 3 ff. Diese bereits seit dem 2.6.2021 geltende Erweiterung lautet:
„Beschäftigte können zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen“.
Auf diese Möglichkeit müssen Arbeitgeber ab sofort bei der Einleitung eines BEM hinweisen, und zwar völlig unabhängig davon, ob im Unternehmen ein Betriebsrat existiert oder nicht. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 19/28834 S. 57) ist unmissverständlich:
„Wichtig für ein erfolgreiches betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist vor allem die Schaffung einer Vertrauensbasis zwischen Arbeitgebern und betroffenen Personen. Die Teilnahme einer Vertrauensperson auf Seiten der Betroffenen kann erheblich zum Erfolg des BEM-Verfahrens beitragen. Insbesondere auch in Betrieben ohne Interessenvertretung soll den Beschäftigten die Möglichkeit nach weiterer Unterstützung im BEM eingeräumt werden. Aus diesem Grund wird § 167 Absatz 2 SGB IX dahingehend ergänzt, dass auf Wunsch der Beschäftigten zusätzlich auch eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzugezogen werden kann. Den Beschäftigten steht es frei, selbst zu wählen, wer als Vertrauensperson am BEM-Verfahren teilnehmen soll. Dabei kann es sich um ein Mitglied der Interessenvertretung, eine Person aus dem Betrieb oder um eine Person außerhalb des Betriebes handeln. Die Entscheidung ob und gegebenenfalls wer hinzugezogen wird, liegt alleine bei den BEM-Berechtigten. Die Arbeitgeber informieren die Beschäftigten über die Möglichkeit, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen.“
Bleibt dieser Hinweis an den Beschäftigten aus, riskieren Arbeitgeber Nachteile beim Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt oder gar ein Unterliegen im Kündigungsschutzprozess. Zwar ist die Durchführung eines BEM unverändert weder ein formelles Wirksamkeitserfordernis für eine Kündigung noch Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Zustimmung des Integrationsamtes. Doch erwartet das BAG beim BEM die Einhaltung von Mindeststandards; dazu gehört jedenfalls die Beteiligung der gesetzlich vorgesehenen Stellen und Personen (vgl. nur BAG Urt. v. 10. 12. 2009, 2 AZR 400/08 Rn. 20).
Hierzu gehört nun auch eine vom Beschäftigten gewünschte Vertrauensperson. Fehlt bei der Einleitung des BEM ein Hinweis auf diese neue Möglichkeit, kann schon ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM vorliegen. Da das BAG ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM einem gar nicht durchgeführten BEM gleichstellt, ist davon auszugehen, dass schon die Nichtbeachtung der Neuregelung zur deutlich erhöhten Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess führt: Arbeitgeber müssen dann umfassend und konkret vorbringen, warum der Einsatz des gekündigten Beschäftigten auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz und/oder eine leidensgerechte Anpassung selbst unter Berücksichtigung gesetzlich vorgesehener Hilfen oder Leistungen der Reha-Träger nicht möglich ist – kurzum: das Arbeitsgericht muss die Überzeugung gewinnen, dass die Kündigung auch bei ordnungsgemäßer Durchführung des BEM unvermeidlich geblieben wäre. Erfahrungsgemäß gelingt dies allenfalls in seltenen Einzelfällen.
Axel J. Klasen, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Stuttgart