BMF legt Referentenentwurf zur Änderung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung vor
Das Bundesministerium der Finanzen („BMF“) hat am 19. November 2020 einen Referentenentwurf mit dem Titel „Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung von Kapitalertragsteuer – Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz“ („Referentenentwurf“) vorgelegt, der unter anderem eine Neufassung der für die Etablierung internationaler Holding-Strukturen äußerst relevanten Anti-Treaty-Shopping-Regelung (§ 50d Abs. 3 EStG) beinhaltet.
Hintergrund der Neufassung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung
Die sogenannte Anti-Treaty-Shopping-Regelung soll verhindern, dass die Freistellung oder Erstattung von Quellensteuern auf Dividenden- oder Lizenzzahlungen an ausländische Gesellschaften nur erfolgt, weil eigentlich nicht begünstigte Personen gezielt ausländische Gesellschaften zwischenschalten, denen aufgrund einer europäischen Richtlinie oder eines Doppelbesteuerungsabkommens eine Freistellung oder Erstattung von Quellensteuern zusteht („Directive-Shopping“ bzw. „Treaty-Shopping“). Dazu versagt § 50d Abs. 3 EStG die Freistellung oder Erstattung von Quellensteuern auf Dividenden- oder Lizenzzahlungen, wenn die ausländischen Gesellschaften bestimmte Funktions- und Substanzerfordernisse nicht erfüllen.
Nach dem Referentenentwurf besteht das Ziel der Neufassung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung in der Anpassung an die unionsrechtlichen sowie internationalen steuerrechtlichen Erfordernisse. Zum einen hat der EuGH mit Urteilen vom 20. Dezember 2017 in der Rechtssache Deister Holding u.a. (Rs. C-504/16 und C-613/16) und vom 14. Juni 2018 in der Rechtssache GS (Rs. C-440/17) entschieden, dass § 50d Abs. 3 EStG gegen die Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV verstößt und daher nicht mit Unionsrecht vereinbar ist (siehe Newsletter). Zum anderen ist seit dem 1. Januar 2019 eine Regelung zur steuerlichen Missbrauchsbekämpfung nunmehr auf Grund Art. 6 Anti-Tax-Avoidance Directive unionsrechtlich verpflichtend. Zwar hat Deutschland mit § 42 AO bereits eine allgemeine Missbrauchsklausel, jedoch möchte das BMF aus Gründen der Rechtssicherheit eine Vorschrift, die für die Entlastung ausländischer Gesellschaften von Kapitalertragsteuer und vom Steuerabzug nach § 50a EStG „einen offensichtlichen Gestaltungsmissbrauch“ tatbestandlich näher regelt.
Geplante Neufassung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung
Die geplante Neufassung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung beinhaltet nunmehr eine typisierte, aber widerlegbare Missbrauchsvermutung. Nach Satz 1 der geplanten Neufassung gibt es zwei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die typisierte Missbrauchsvermutung greift. Erstens soweit Personen an der ausländischen Gesellschaft beteiligt oder durch die Satzung begünstigt sind, denen der Anspruch nicht zustände, wenn die Einkünfte unmittelbar erzielt würden. Zweitens soweit die Einkünfte keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit dieser ausländischen Gesellschaft aufweisen, wobei das Erzielen der Einkünfte und deren Weiterleitung an beteiligte oder begünstigte Personen sowie eine Tätigkeit, soweit sie mit einem für den Geschäftszweck nicht angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb ausgeübt wird, nicht als Wirtschaftstätigkeit gelten.
Nach Satz 2 der geplanten Neufassung kann die ausländische Gesellschaft aber nachweisen, dass keine der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist (Principal Purpose Test) und damit die Missbrauchsvermutung widerlegen.
Fazit und Empfehlung
Mit dem vom BMF vorgelegten Referentenentwurf versucht das BMF nun den vorstehend beschriebenen Aspekten gerecht zu werden, schießt dabei aber über das Ziel hinaus. Denn eigentlich hat der EuGH § 50d Abs. 3 EStG als zu eng im Tatbestand verworfen. Zwar hat das BMF nun mit der Möglichkeit die typisierte Missbrauchsvermutung zu widerlegen nachjustiert. Allerdings hat das BMF die Regelung insgesamt an mehreren Stellen wesentlich verschärft. So soll z.B. die erforderliche persönliche Entlastungsberechtigung bereits fehlen, wenn den an der ausländischen Gesellschaft Beteiligten zwar ebenfalls eine persönliche Entlastungsberechtigung zusteht, diese aber auf einer anderen Rechtsgrundlage beruht (z.B. Mutter-Tochter-Richtlinie statt Doppelbesteuerungsabkommen). Ob diese Verschärfung mit dem Unionsrecht in Einklang steht, ist durchaus fraglich.
Zudem werden eine Reihe neuer Begrifflichkeiten eingeführt, deren Handhabung durch die Finanzverwaltung in der Praxis abzuwarten bleibt. Auch die Neufassung der Anti-Treaty-Shopping-Regelung enthält damit ein noch hohes Streitpotenzial. Zu empfehlen ist, bestehende internationale Holding-Strukturen bereits jetzt auf Anpassungsbedarf zu prüfen, um mögliche Umstrukturierungen rechtzeitig vornehmen zu können.
Dr. Michael Engel, Rechtsanwalt/Steuerberater
Frankfurt a.M.