Dezember 2022 Blog

Entwurf der EU-Kommission für ein neues Produkthaftungsrecht

Die EU-Kommission hat einen Entwurf für eine neue Produkthaftungsrichtlinie vorgestellt.

Mit dem „Vorschlag für eine Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte“ (ProdHaftRL-E) soll die aktuelle Fassung der Produkthaftungsrichtlinie von 1985 aktualisiert und ersetzt werden. Folge hieraus wird eine Änderung des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) sein. Die Anwendbarkeit der geltenden Produkthaftungsrichtlinie auf aktuelle Produkte einer modernen, zunehmend digitalen Wirtschaft wirft nämlich immer stärkere Probleme auf. Daher sollen die bestehenden Vorschriften über die verschuldensunabhängige Haftung von Herstellern für fehlerhafte Produkte (von intelligenten Technologien bis hin zu Arzneimitteln) modernisiert und mit einem noch höheren Verbraucherschutz verbunden werden. Insbesondere ist es die Absicht, die nun Jahrzehnte alten Vorschriften zur Produkthaftung an die Entwicklungen in der Herstellung, dem Vertrieb und Betrieb von Produkten anzupassen.

Wesentliche Regelungen

Der ProdHaftRL-E sieht weiterhin eine verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte gegenüber natürlichen Personen vor und enthält folgende wesentliche Neuerungen:

  • Software als „Produkt“ (Art. 4 ProdHaftRL-E): Der Produktbegriff wird (deklaratorisch) erweitert auf Software und digitale Produktionsdateien einschließlich KI-Systeme. Dies entspricht auch der bislang herrschenden Auffassung und stellt insofern eine Klarstellung dar.
  • „Fehlerhaftigkeit“ (Art. 6 ProdHaftRL-E): Für die Fehlerhaftigkeit sollen neben berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Verbrauchers auch Produktsicherheitsanforderungen maßgeblich sein. Hierzu wird ausdrücklich auch Cybersicherheit genannt. Auch die Intervention einer Behörde im Hinblick auf die Produktsicherheit soll zu berücksichtigen sein.
  • Ersatzfähiger Schaden (Art. 4 Abs. 6 lit. c ProdHaftRL-E): Als ersatzfähiger Schaden wird nun auch die Beschädigung oder der Verlust von Daten definiert. Damit kann die Haftung z.B. auf den Kostenersatz für Rettung bzw. Wiederherstellung von Daten gerichtet sein.
  • Haftende Personen (Art. 7 ProdHaftRL-E): Neben dem Hersteller, Quasi-Hersteller und Importeur sollen nun u.a. auch sog. Fulfillment-Dienstleister (Dienstleister für Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand) und sogar Anbieter von Online-Marktplätzen haftbar sein, wenn der Hersteller keinen Sitz in der EU hat. Klargestellt wird auch, dass Unternehmen, die ein Produkt nach Inverkehrbringen ohne Zustimmung des ursprünglichen Herstellers wesentlich verändern, als Hersteller zu behandeln sind. Letzteres entspricht bereits jetzt aktueller Praxis.
  • Offenlegung von Beweismitteln (Art. 8 ProdHaftRL-E): Die nationalen Gesetzgeber sollen Gerichten ermöglichen, auf Antrag anzuordnen, dass relevante Beweismittel für einen Schadensersatzanspruch vom Beklagten offenzulegen sind. Hierzu hat der Kläger die Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs durch Tatsachen und Beweise hinreichend darzulegen. Umgekehrt haben Gerichte die Offenlegung darauf zu beschränken, was notwendig und angemessen ist, um den Anspruch zu begründen. Es liegt bereits jetzt auf der Hand, dass Hersteller bemüht sein werden, ihre Geschäftsgeheimnisse dennoch zu wahren.
  • Beweislasterleichterung (Art. 9 ProdHaftRL-E): Geschädigten soll mit unterschiedlichen widerlegbaren Vermutungen die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erleichtert werden. So sollen etwa die Fehlerhaftigkeit des Produkts und die Kausalität von Fehler und Schaden widerlegbar vermutet werden, wenn die Beweisführung aufgrund der technischen und wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig ist. Dies setzt allein voraus, dass auf Grundlage hinreichender Beweise nachgewiesen wird, dass das Produkt wahrscheinlich fehlerhaft war und/oder zum Schaden beigetragen hat.
  • Selbstbehalte und Haftungshöchstgrenzen (Art. 13): Der bisherige Selbstbehalt im Falle einer Sachbeschädigung in Höhe von EUR 500,- sowie die Haftungshöchstgrenze von EUR 85 Millionen sollen entfallen.

Bedeutung für Ihr Unternehmen

Der Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie wird mit Blick auf Produktfehler, ersatzfähige Schäden und haftende Personen erheblich erweitert.

In Zukunft dürften noch viel mehr Unternehmen Risiken der Produkthaftung ausgesetzt sein – auch solche, die nicht an der Produktion beteiligt sind. Zudem wird es Verbrauchern nach dem aktuellen ProdHaftRL-E wesentlich erleichtert, Schadensersatzansprüche vor einem Gericht geltend zu machen.

Diese neuen Haftungsrisiken sollten Unternehmen daher veranlassen, ihre Versicherungspolicen an den neuen Standards zu messen und eventuelle Anpassungen vorzunehmen.

Bewertung und Ausblick

Die Aktualisierung des Produkthaftungsrechts und die Anpassung an die aktuellen technischen Entwicklungen ist überfällig. Neben diversen Klarstellungen (z.B. zur Produkteigenschaft von Software) sieht die ProdHaftRL-E auch echte Neuerungen vor. Durch den erweiterten Anwendungsbereich dürften sich neue Haftungsrisiken stellen. Zudem greifen die Beweiserleichterung und Offenlegungspflicht für relevante Beweismittel wesentliche Probleme bei der Darlegung und dem Beweis von Schadensersatzansprüchen im Hinblick auf komplexe technische Zusammenhänge zu Gunsten von Verbrauchern auf. Beide Elemente finden sich in ähnlicher Form auch im „Vorschlag für eine Richtlinie zur Anpassung der Vorschriften über außervertragliche zivilrechtliche Haftung an künstliche Intelligenz“, den die EU-Kommission ebenfalls vorgestellt hat.

Unsicherheiten bieten jedoch neue und unbestimmte Begrifflichkeiten. Wann z.B. die Beweisführung „aufgrund der technischen und wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig“ ist, dürfte noch unklar sein. Es ist daher zu befürchten, dass die Beweiserleichterung gerade in technischen Zusammenhängen häufiger zu Lasten von Unternehmern ausgelegt wird.

Auch ob die Offenlegungspflicht in dieser Form beibehalten wird und wie der deutsche Gesetzgeber diese im deutschen Prozessrecht ausgestalten wird, bleibt abzuwarten. Die Offenlegungspflicht ist an die sog. „disclosure of evidence“ aus dem Common Law-Rechtskreis angelehnt und den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, darunter dem deutschen Prozessrecht, bislang fremd. Zwar dürfte ein sog. Ausforschungsbeweis nicht zu befürchten sein, weil der Kläger zunächst seinen Anspruch hinreichend darzulegen hat. Es ist aber nicht unproblematisch, dass die Offenlegungspflicht nur einseitig und nicht in beide Richtungen gelten soll (z.B. in Bezug auf relevante Daten des Geschädigten).

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