Ist das Kunst, oder kann das weg? Entfernen von Kunst an Gebäuden kann Urheberrechte verletzen
Drei aktuelle Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) lassen auch die Immobilienbranche aufhorchen: Entgegen der bislang vorherrschenden Auffassung kann nunmehr auch die vollständige Vernichtung von Kunstwerken oder Werken der Baukunst eine Urheberrechtsverletzung darstellen.
Seit einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1912 (!) entsprach es der wohl überwiegenden Auffassung in der Juristerei und den Rechtsabteilungen der Immobilienunternehmen, dass zwar Veränderungen an Kunstwerken an oder in Gebäuden rechtlich problematisch seien, gegen das vollständige Entfernen oder Vernichten des Kunstwerks jedoch nichts einzuwenden sei. Das Reichsgericht hatte dies in dem damaligen Verfahren, in dem der Eigentümer eines Berliner Hauses im Treppenhaus ein Freskogemälde mit dem Titel „Felseneiland mit Sirenen“ übermalt hatte, so dass die ursprünglich nackten Fabelwesen nunmehr bekleidet erschienen, in einem Nebensatz angemerkt. Nach über 100 Jahren hat der BGH dieser Auffassung nun widersprochen.
Worum ging es in den Verfahren?
Der BGH hat über drei ähnlich gelagerte Fälle entschieden, von denen zwei in der Kunsthalle Mannheim spielten und der dritte in einem Minigolf-Keller in Berlin. In den beiden Verfahren der Kunsthalle Mannheim wendete sich eine international tätige Multimediakünstlerin dagegen, dass im Zuge von Umbau- und Sanierungsmaßnamen in der Kunsthalle ihre zwei Licht- und Rauminstallationen entfernt wurden, und verlangte vom Eigentümer u.a. deren Wiederaufbau und Schadenersatz. In den Berliner Verfahren forderten zwei Künstler für die Zerstörung ihres Kunstwerks, das unter Schwarzlicht leuchtete, im Zuge von Umbaumaßnahmen in einer Indoor-Minigolf-Anlage von dem Eigentümer Schmerzensgeld.
Die Entscheidungen des BGH
Der BGH hat die Klage bezüglich der Kunstwerke in der Kunsthalle Mannheim, abgesehen von einer Nachhonorarforderung, nach einer Interessenabwägung abgewiesen und das Berliner Verfahren zum Nachholen der erforderlichen Interessenabwägung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Allerdings hat der BGH sich in allen drei Entscheidungen klar positioniert und festgestellt, dass – abweichend von der bisherigen Auffassung – auch das Entfernen oder die vollständige Vernichtung von Kunstwerken als schärfste Form der Beeinträchtigung des Werks und damit als „andere Beeinträchtigung“ im Sinne des urheberpersönlichkeitsrechtlichen Entstellungsschutzes in § 14 UrhG anzusehen ist. Ob eine solche Vernichtung von Kunstwerken gleichwohl zulässig sein kann, erfordert nach dem BGH immer zwingend eine umfassende Abwägung zwischen dem Interesse des Urhebers am Erhalt des Kunstwerks und den Eigentümerinteressen.
Auf Seiten des Urhebers ist bei der Interessenabwägung laut dem BGH beispielsweise zu berücksichtigen, ob es sich bei dem vernichteten Werk um ein Unikat handelte oder davon mehrere Exemplare existieren. Ferner ist der künstlerische Rang in Betracht zu ziehen und ob es ein Gegenstand der bildenden Kunst ist oder als angewandte Kunst einem Gebrauchszweck dient.
Auf Seiten des Eigentümers können, wenn Kunst in oder an einem Gebäude betroffen ist, bautechnische Gründe, wie behördliche Vorgaben für Energieeffizienz oder Lärmschutz, oder das Interesse an einer Nutzungsänderung von Bedeutung sein. Ein bloß veränderter Geschmack soll jedoch weiterhin nicht ausreichend sein. Wenn das Kunstwerk aber mit dem Bauwerke unlösbar verbunden ist, soll das Eigentümerinteresse dem Urheberinteresse im Regelfall vorgehen.
Weiterhin kann bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen, ob der Eigentümer dem Urheber Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen oder - wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werks nicht möglich ist - Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen.
Praxishinweis
Die Entscheidungen des BGH werden insbesondere in der Immobilienwirtschaft mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen werden. Denn das altbekannte Prinzip „Vernichten geht immer“ gilt nicht mehr. Für die Zukunft empfiehlt es sich daher aus Eigentümersicht, im Vertrag mit dem Künstler oder Architekten sogleich konkrete und angemessene Regelungen für den Fall der vollständigen Vernichtung des Werkes aufzunehmen. Ferner kann es sinnvoll sein, eine Pflicht zur Ausstellung, Erhaltung und Restaurierung des Werkes ausdrücklich auszuschließen. Die Regelungen müssen aber die besonders schützenswerten Urheberinteressen angemessen berücksichtigen, damit sie nicht unwirksam werden. Vor der Vernichtung sollte der Künstler zudem immer kontaktiert und ihm die Rücknahme oder Dokumentation seines Werkes angeboten werden.
(BGH, Urt. v. 21.02.2019, Az. I ZR 98/17 – „HHole (for Mannheim)“; BGH, Urt. v. 21.02.2019, Az. I ZR 99/17 – „Lichtinstallation ‚PHaradise‘“; BGH, Urt. v. 21.02.2019, Az. I ZR 15/18 – „Brunneninstallation“)
Dr. Christian Triebe, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und gewerblichen Rechtsschutz
Hamburg