Kein Haftungsdurchgriff auf GmbH-Geschäftsführer wegen unterlassener Mindestlohnzahlung
Die Bußgeldvorschriften des Mindestlohngesetzes (MiLoG) wegen nicht gezahltem Mindestlohn führen nicht zur Schadensersatzpflicht von Geschäftsführern nach § 823 BGB.
Sachverhalt
Die beiden Beklagten waren Geschäftsführer der insolventen Arbeitgeberin (GmbH) des Klägers. Er nahm sie persönlich auf Schadensersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch, weil er für Zeiten außerhalb des Insolvenzgeldzeitraums keinen Mindestlohn erhalten hat. Die fahrlässige oder vorsätzliche Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns ist gem. § 21 Abs. 1 Nr. 9 [seit dem 01.07.2023: § 21 Abs. 1 Nr. 11 MiLoG] iVm. § 20 MiLoG ordnungswidrig. Als gesetzliche Vertreter der Schuldnerin seien die Beklagten gem. § 9 OWiG taugliche Täter dieser Ordnungswidrigkeit, die sie zumindest fahrlässig verwirklicht hätten. Er habe daher einen „direkten Zahlungsanspruch“ gegen die Beklagten, § 823 Abs.2 BGB. Die Beklagten meinten hingegen, ihnen sei die von der Schuldnerin unterlassene Vergütungszahlung nicht vorwerfbar. Im Übrigen handele es sich bei den Bußgeldtatbeständen des MiLoG um keine Schutzgesetze zulasten von GmbH-Geschäftsführern gegenüber den Arbeitnehmenden der Gesellschaft. Die Klage war in allen Instanzen erfolglos.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)
Das GmbH-Gesetz (GmbHG) begrenze die Haltung von Geschäftsführern grundsätzlich auf ihr Verhältnis zur GmbH, eine persönliche Haftung der Geschäftsführer gegenüber außenstehenden Dritten sehe das GmbHG nicht vor; zudem beschränke § 13 Abs. 2 GmbHG die Außenhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft auf das Gesellschaftsvermögen. Zwar seien GmbH-Geschäftsführer aufgrund ihrer Organstellung zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung verpflichtet (§ 43 Abs. 1 GmbHG), wozu auch die Verpflichtung zu rechtmäßigem Verhalten und Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen gehöre. Diese Pflichten bestünden aber grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft und dienten nicht dem Zweck, Gesellschaftsgläubiger vor den Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsführung zu schützen.
Eine von diesen Grundsätzen abweichende persönliche Haftung eines GmbH-Geschäftsführers für Verbindlichkeiten der GmbH erfordere nach ständiger Rechtsprechung des BAG einen besonderen Haftungsgrund, der hier fehle. Ungeachtet der im Einzelfall bestehenden bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsführer nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für Verstöße gegen die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns stelle dieser Bußgeldtatbestand kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs, 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmenden der GmbH in ihrem Verhältnis zu deren Geschäftsführern dar.
Zwar bezwecke § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG erkennbar den Schutz von in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmenden davor, zum Fälligkeitszeitpunkt keinen Mindestlohn zu erhalten. Dennoch handele es sich bei § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG um kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, weil diese Vorschriften nicht hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die Geschäftsführer abweichend von den sonstigen zivilrechtlichen Haftungstatbeständen persönlich haften sollen. Hätten diese Vorschriften Schutzcharakter i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, könnten die Geschäftsführer selbst bei nur leicht fahrlässiger Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes auf Schadensersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch genommen werden. Betroffene Arbeitnehmende hätten in einer Vielzahl von Fällen über Ihren Vertragsarbeitgeberin hinaus einen zusätzlichen Schuldner, wodurch das Haftungssystem des GmbHG zumindest in Höhe des Mindestlohns vielfach konterkariert würde. Eine solche Abweichung vom Haftungssystem des GmbHG erfordere konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers. Dieser sei nicht ersichtlich, ergebe sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien zum MiLoG. Eine Parallele zu den Strafvorschriften § 266a Abs. 2 und 3 StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt), die als Schutzgesetze zugunsten der Arbeitsnehmenden anerkannt seien, lasse sich nicht ziehen. Diese Strafvorschriften dienten dem Schutzinteresse der Arbeitsnehmenden an der treuhänderischen Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens; eine vergleichbare treuhänderische Bindung des Arbeitgebers im Hinblick auf die Zahlung der Vergütung auch in Höhe des Mindestlohns fehle aber.
Praxisfolgen
Die Entscheidung fügt sich folgerichtig in die Rechtsprechung des BAG zur Haftung von Geschäftsführern gegenüber Arbeitnehmern einer GmbH sowie in das Haftungssystem des GmbHG ein. Eine etwaige Haftung der Geschäftsführer nach den insolvenzspezifischen Vorschriften des § 15a InsO stand im entschiedenen Fall nicht zur Entscheidung. Arbeitnehmer sollten jedenfalls darauf achten, es zu keinen größeren Lohnrückständen kommen zu lassen, als durch die Insolvenzgeldvorschriften abgedeckt sind. Das sind – beschränkt auf die Beitragsbemessungsgrenze zur Arbeitslosengeldversicherung iHv. derzeit € 7.300,- brutto (Beitragskreis West) bzw. € 7.100,- brutto (Beitragskreis Ost) - maximal drei Monatsgehälter.
(BAG Urteil vom 30.03.2023, 8 AZR 120/22)