Mitbestimmung in Unternehmen: Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer zählen bei Schwellenwerten mit
In Unternehmen, deren Mitarbeiterzahl bestimmte Schwellenwerte überschreitet, müssen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vertreten sein. Bislang galt es als gesichert, dass im Ausland beschäftigte Mitarbeiter bei der Ermittlung der Mitarbeiterzahl nicht zu berücksichtigen sind. Diese Praxis steht nun auf dem Prüfstand.
Maßgeblich für die Bestimmung der Schwellenwerte sind das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) und das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG). Nach dem DrittelbG ist der Aufsichtsrat von Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern zu einem Drittel mit Vertretern der Arbeitnehmer zu besetzen. Wird die Grenze von 2.000 Mitarbeitern überschritten, dann muss der Aufsichtsrat nach dem MitbestG zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern bestehen. Nach bislang ganz herrschender Auffassung waren im Ausland beschäftigte Mitarbeiter für die Schwellenwerte nicht zu berücksichtigen. Diese Auffassung verwirft das Landgericht (LG) Frankfurt a.M. nun in einer aktuellen Entscheidung. Danach sollen im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer bei Ermittlung der Schwellenwerte für die Mitbestimmung mitzählen.
Zum Sachverhalt
Antragsgegnerin ist die Trägerin der Frankfurter Wertpapierbörse und herrschendes Unternehmen der Gruppe Deutsche Börse. Sie beschäftigte mit Stand vom 31.12.2013 insgesamt 3.811 Arbeitnehmer, davon 1.624 in Deutschland und 1.747 im europäischen Ausland. Ihr gemäß Satzung aus 18 Personen bestehender Aufsichtsrat ist nach den Vorschriften des DrittelbG mit sechs Mitgliedern der Arbeitnehmer besetzt. Der Antragssteller, ein Professor für Arbeitsrecht aus München, erwarb mehr als 100 Namensaktien der Antragsgegnerin. Anschließend leitete er ein sog. Statusverfahren nach dem Aktiengesetz (AktG) ein. Er ist der Auffassung, dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin fehlerhaft besetzt ist.
Die Entscheidung des LG Frankfurt
Das LG folgte dem Antragsteller zunächst nicht in dessen Argumentation, dass das DrittelbG aufgrund eines Verstoßes gegen EU-Recht nicht anwendbar sei. Dies würde letztlich dazu führen, dass der Aufsichtsrat ohne Arbeitnehmervertreter bliebe. Das Gesetz sei dementsprechend europarechtskonform auszulegen, was aber im Statusverfahren dahinstehen könne.
Das Gericht entschied, dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin fehlerhaft besetzt sei. Bei den für die Anwendbarkeit von DrittelbG und MitbestG maßgeblichen Schwellenwerten seien die Arbeitnehmer der ausländischen Konzernunternehmen mitzuzählen. Die Antragsgegnerin beschäftige danach insgesamt deutlich mehr als 2.000 Arbeitnehmer. Da in Deutschland nur 1.624 Personen beschäftigt waren, führte erst die Berücksichtigung der ausländischen Beschäftigten zum Überschreiten der mitbestimmungsrelevanten Grenze von 2.000 Arbeitnehmern. Damit verwarf das Gericht die bis dahin ganz herrschende Meinung, wonach das „Territorialitätsprinzip“ eine Erstreckung deutscher Rechtsnormen auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten verbiete. Das LG argumentierte, dem Gesetzeswortlaut sei eine solche Beschränkung nicht zu entnehmen. Jedenfalls bei in der EU gelegenen Tochterunternehmen verstoße die bisherige Praxis auch gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot und könne zu Wettbewerbsverzerrungen führen.
Hinweise für die Praxis
Der Beschluss des LG Frankfurt ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt daher abzuwarten, wie die nächste Instanz entscheiden wird.
Sollte sich jedoch die Ansicht des LG Frankfurt durchsetzen, dann sind besonders mittelständische Unternehmen betroffen, die eine größere Anzahl Mitarbeiter im Ausland beschäftigen. Sie könnten erstmals mitbestimmungspflichtig werden, also gezwungen sein, den Aufsichtsrat zu einem Drittel mit Arbeitnehmern zu besetzen. Unternehmen, die bislang nur unter das DrittelbG fallen, könnten durch Überschreiten der Schwelle von 2.000 Mitarbeitern nunmehr unter das MitbestG fallen. Im Aufsichtsrat würden dann gleich viele Arbeitnehmer wie Anteilseigner sitzen.
Die aktuelle Rechtsentwicklung ist besonders von Unternehmen zu beachten, die planen, ins Ausland zu expandieren.
(LG Frankfurt, Beschluss vom 16.2.2015, 3 /16 O 1/14, nicht rechtskräftig, Beschwerde eingelegt)
Caroline Fündling, Rechtsanwältin