Januar 2023 Blog

Neue EU-Verordnung über wettbewerbsverzerrende Subventionen aus Drittstaaten in Kraft getreten

Am 12. Januar 2023 ist die EU-Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen in Kraft getreten. Die neue Verordnung wird u.a. erhebliche Auswirkungen auf M&A-Transaktionen (Fusionen und Übernahmen) haben und den Bürokratieaufwand sowie die Kosten für viele Unternehmen, die im EU-Binnenmarkt tätig sind, deutlich erhöhen. Die damit eingehenden Anmeldepflichten und Prüfverfahren der neuen Drittstaatensubventionskontrolle treten zu den bekannten Instrumenten der kartellrechtlichen Fusionskontrolle und der außenwirtschaftsrechtlichen Investitionskontrolle hinzu und sind von diesen unabhängig.

Hintergrund

Grundpfeiler eines funktionierenden europäischen Binnenmarkts ist der faire und chancengleiche Wettbewerb. Die Wettbewerbsvorschriften, die Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe und die handelspolitischen Schutzinstrumente der EU spielen bei der Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen im Binnenmarkt eine wichtige Rolle. Diese Vorschriften gelten jedoch nicht für finanzielle Zuwendungen aus Drittstaaten, die ihren Empfängern beim Kauf von EU-Unternehmen, bei öffentlichen Aufträgen oder kommerziellen Tätigkeiten in der EU einen Vorteil verschaffen. Somit bestand bis zuletzt eine „Regelungslücke“, die zu unfairen Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt führte. Im Mai 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission zur Schließung dieser Regelungslücke einen Vorschlag für eine Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen, auf deren Grundlage solche Drittstaatssubventionen kontrolliert werden sollen. Am 30. Juni 2022 gab der Rat der Europäischen Union eine politische Einigung im sog. Trilogverfahren über den Verordnungsvorschlag bekannt, woraufhin am 28. November 2022 die Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen förmlich beschlossen wurde. Die Verordnung (EU) 2022/2560 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen („Drittstaatensubventionsverordnung“ bzw. „Foreign Subsidies Regulation“) wurde im EU-Amtsblatt am 23. Dezember 2022 veröffentlicht und ist nunmehr am 12. Januar 2023 in Kraft getreten. Sie wird ab dem 12. Juli 2023 angewendet. Die europäische Wettbewerbsordnung ist damit von nun an um ein weiteres regulatorisches Instrument reicher.

Hintergrund der neuen Verordnung ist, dass Investitionen von Unternehmen aus Drittstaaten (sowie drittstaatlich kontrollierter Unternehmen) in der EU in den vergangenen Jahren stark angestiegen sind. So haben beispielsweise staatlich subventionierte Übernahmeangebote für europäische Unternehmen durch chinesische Investoren deutlich zugenommen. Die vorgelegten Angebote – zum Teil auch für geostrategisch interessante oder hochinnovative Industriebereiche – lagen weit über dem Marktpreis mit der Folge, dass europäische Unternehmen im Wettbewerb nicht mithalten konnten. Weder das europäische Beihilfen- oder Fusionskontrollrecht noch das Vergabe- oder Außenwirtschaftsrecht boten insoweit bislang eine Handhabe.

Eckpunkte der Drittstaatensubventionsverordnung

Die Drittstaatensubventionsverordnung soll daher eine adäquate Kontrolle von Drittstaatssubventionen, die sich im EU-Binnenmarkt wettbewerbsverzerrend auswirken, ermöglichen. Ziel ist es, zwischen sämtlichen – europäischen und außereuropäischen – im Binnenmarkt tätigen Unternehmen Chancengleichheit herzustellen, d.h. für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen („level playing field“).

1. Prüfansatz und Verfahren

Die Europäische Kommission ist sachlich für die Prüfung der Vereinbarkeit einer drittstaatlichen Subvention mit dem Binnenmarkt zuständig, damit die Verordnung europaweit einheitlich angewandt wird. Der Anwendungsbereich erstreckt sich dabei auf alle in der EU wirtschaftlich aktiven Unternehmen. Dabei führt die Kommission ein zweistufiges Prüfverfahren durch. Dieses besteht aus einem Vorprüfungsverfahren und einer sich ggf. anschließenden eingehenden Prüfung. Herzstück dieser eingehenden Prüfung ist die Frage, ob eine drittstaatliche Subvention vorliegt (erster Teil), die den Wettbewerb verzerrt (zweiter Teil). Bejaht die Kommission diese Fragen, so sollen die negativen Effekte gegen die positiven Effekte auf den Binnenmarkt abgewogen werden (dritter Teil). Das Prüfverfahren ähnelt in formeller Hinsicht stark dem beihilfenrechtlichen Prüfverfahren, je nach Untersuchungsgegenstand angereichert mit fusionskontroll- oder vergaberechtlichen Elementen. Zur Herstellung chancengleichen Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt sieht die Drittstaatensubventionsverordnung drei spezifische Prüfinstrumente vor: 

  • Notifizierungsbasiertes Instrument für die Prüfung von Zusammenschlüssen und Übernahmen
    Für Zusammenschlüsse und Übernahmen sieht Kapitel 3 der Verordnung neue, von der EU-Fusionskontrolle inspirierte Regeln vor. Hat das erworbene oder ein der an der Fusion beteiligtes Unternehmen im vorangegangenen Geschäftsjahr einen Gesamtumsatz von mindestens 500 Mio. EUR innerhalb der Europäischen Union erzielt und hat eines der beteiligten Unternehmen eine drittstaatliche finanzielle Zuwendung von mindestens 50 Mio. EUR innerhalb der letzten drei Kalenderjahre erhalten, muss der geplante Zusammenschluss bzw. die geplante Übernahme vor dem Vollzug bei der Kommission angemeldet werden. Während die Prüfung durch die Kommission läuft, dürfen angemeldete Zusammenschlüsse und Übernahmen nicht vollzogen werden, es besteht also ein Vollzugsverbot.

    Die Kommission hat die Entwürfe für ein entsprechendes Anmeldeformular angekündigt. Dabei knüpft die Anmeldepflicht an drittstaatliche finanzielle Zuwendungen der öffentlichen Hand an, was weiter zu verstehen sein dürfte als der Begriff der Subvention, sodass es für die formell-rechtliche Anmeldepflicht auf ein begünstigendes Element nicht ankommen wird. Diese Anmeldepflicht greift grundsätzlich dann ein, wenn ein Zusammenschluss dadurch bewirkt wird, dass eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle stattfindet. Sie gilt losgelöst von den bekannten Pflichten im Zusammenhang mit der EU-Fusionskontrolle.

    Nach Ablauf eines Übergangszeitraumes von sechs Monaten wird die Mehrzahl der neuen Vorschriften ab dem 12. Juli 2023 gelten. Dieser Geltungsbeginn ist entscheidend für die Anwendung der Vorschriften der Drittstaatensubventionsverordnung, denn sie finden nur auf solche M&A-Transaktionen Anwendung, bei denen das Signing nach diesem Zeitpunkt erfolgt.

    Die neuen Anmeldepflichten und bußgeldbewerten Vollzugsverbote gelten sodann drei Monate nach dem Datum des Geltungsbeginns, d.h. ab dem 12. Oktober 2023.
     
  • Notifizierungsbasiertes Instrument für die Prüfung von Angeboten in öffentlichen Vergabeverfahren
    Bei großen öffentlichen Vergabeverfahren mit einem geschätzten Auftragswert oberhalb der Schwelle von 250 Mio. EUR muss ebenfalls ein Anmeldeverfahren durchgeführt werden, wenn der Bieter eine drittstaatliche finanzielle Zuwendung von mindestens 4 Mio. EUR erhalten hat. Auch insoweit greift ein Vollzugsverbot, d.h. während die Prüfung durch die Kommission läuft, darf im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens Bietern, die Gegenstand einer Prüfung sind, nicht der Zuschlag erteilt werden.
     
  • Allgemeines Marktuntersuchungsinstrument
    Für alle weiteren Marktsituationen und für Zusammenschlüsse bzw. Gebote in öffentlichen Vergabeverfahren nach Zuschlagserteilung unterhalb der jeweiligen Schwellenwerte sieht die Verordnung ein dem kartellrechtlichen Pendant ähnelndes allgemeines Marktuntersuchungsinstrument für die Fälle vor, in denen die Kommission eine drittstaatliche Subvention vermutet. In diesen Fällen kann die Kommission dann im Ergebnis eine Ad-hoc-Anmeldung verlangen.

    Darüber hinaus beinhaltet die Verordnung weitreichende Untersuchungsbefugnisse und die Möglichkeit einer Zwangs- oder Bußgeldverhängung, damit die Kommission ihre Prüfungsbefugnisse durchsetzen kann.

2. Materielle Vereinbarkeitsprüfung: Wann ist eine drittstaatliche Subvention wettbewerbsverzerrend?

Eine drittstaatliche Subvention soll dann den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren, wenn die selektive unmittelbare oder mittelbare finanzielle Unterstützung eines Drittstaates geeignet ist, die Wettbewerbsposition des begünstigten Wettbewerbers derart zu verbessern, dass dadurch der Wettbewerb im Binnenmarkt tatsächlich oder potenziell beeinträchtigt wird. Indikatoren für eine wettbewerbsverzerrende Wirkung sollen Höhe, Art und Zweck der Subvention, die Situation des Unternehmens und der betreffenden Märkte sowie der Umfang der Wirtschaftstätigkeit auf dem Binnenmarkt sein. In folgenden Bereichen nimmt die Kommission an, dass eine Verzerrung des Binnenmarktes am wahrscheinlichsten sein wird: bei drittstaatlichen Subventionen für notleidende Unternehmen ohne Restrukturierungsplan, Exportkreditfinanzierungsmaßnahmen außerhalb des OECD-Abkommens, unbegrenzten Garantien, ungerechtfertigt günstigen Angeboten und unmittelbaren Erleichterungen eines Zusammenschlusses.

3. „Balancing test“: Bewertung der Auswirkungen drittstaatlicher Subventionen

Im Rahmen der Vereinbarkeitsprüfung einer drittstaatlichen Subvention sollen mögliche positive Effekte der Subvention berücksichtigt werden und diese dann mit den negativen, wettbewerbsverzerrenden Effekten abgewogen werden. Überwiegen die positiven Effekte, sollen keine Abhilfemaßnahmen notwendig sein; überwiegen die negativen Effekte, sollen Abhilfemaßnahmen oder Verpflichtungen (unter Berücksichtigung der positiven Effekte) ausgestaltet werden, um die Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen.

4. Geeignete Abhilfemaßnahmen zur Behebung der Marktverzerrungen

In verfahrenstechnischer Hinsicht kann das drittstaatensubventionsbegünstigte Unternehmen sich freiwilligen Verpflichtungen unterwerfen, die die verursachte Verzerrung wirksam beseitigen. Zudem wird die Kommission die Möglichkeit haben, per Beschluss dem betreffenden Unternehmen Abhilfeverpflichtungen aufzuerlegen. Das kann in struktureller Hinsicht eine Veräußerung von Kapazitäten sein, in verhaltensbezogener Hinsicht die Verringerung der Marktpräsenz oder der Zugang zu einer (ansonsten vorbehaltenen) Infrastruktur, die Rückzahlung der Subvention oder als ultima ratio ein Verbot der Transaktion, also ein Verbot des Zusammenschlusses oder der Teilnahme am öffentlichen Auftrag.

Auswirkungen auf die Praxis

Wer im Binnenmarkt am Wettbewerb teilnehmen möchte, hat künftig die regulatorischen Vorgaben der Drittstaatensubventionsverordnung zu beachten. Dieses handelspolitische Schutzinstrument stellt einen regulatorischen Versuch dar, wettbewerbsverzerrenden Subventionen entgegenzuwirken und ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt herzustellen. Bereits jetzt dürfte aber absehbar sein, dass sich die Komplexität der juristischen Materie im Bereich des Wettbewerbsrechts erhöht und damit der Aufwand für Unternehmen wie auch für EU-/ nationale Behörden steigen könnte: Zum einen steigt der Ressourcendruck auf Seiten der Kommission, die Fälle zügig, gleichzeitig aber gründlich zu prüfen, um den Wettbewerb effektiv zu schützen. Nationale Behörden bzw. öffentliche Auftraggeber werden künftig bei der Nähe zu den Schwellenwerten Sensibilität für diese neuen Regeln brauchen.

Zum anderen werden insbesondere große, global tätige Unternehmen ihre Markt- und Branchenstrategien vor dem Hintergrund der neuen Regeln überdenken und anpassen müssen. Gerade bei global tätigen großen Konzernen dürfte der Schwellenwert von 50 Mio. EUR an drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen relativ schnell erreicht werden, da alle Zuwendungen jeglicher Drittstaaten zusammengerechnet werden. Es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass es zu (wirtschaftlich nachteiligen) Verzögerungen gerade für die Unternehmen kommt, die Teil einer Transaktion sind, auf die die Verordnung jedoch nicht unmittelbar angewandt wird.

Im Zusammenhang mit einer Unternehmenstransaktion, die oberhalb der Anmeldeschwelle liegt, kann im Share Purchase Agreement daher auf das aus dem Kartellrecht bekannten Repertoire (Vollzugsbedingungen oder Garantien) zurückgegriffen werden.

Zu Recht ist die Kommission aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit verpflichtet worden, ihre Verwaltungspraxis bei der Auslegung der kommenden Verordnung an (noch zu schaffende) Leitlinien zu binden. Solche Leitlinien könnten Aufschluss über die Handhabung der neuen Regeln geben können und sind bereits angekündigt. Die Drittstaatensubventionsverordnung enthält aus Gründen der Flexibilität die Möglichkeit der Gruppenfreistellung. Von dieser Möglichkeit wurde im Beihilfenrecht und Kartellrecht Gebrauch gemacht, und dies würde auch im Zusammenhang mit Subventionen aus Drittstaaten eine Erleichterung der praktischen Anwendung bieten. Denn vom weiten Anwendungsbereich der Drittstaatensubventionsverordnung sind auch solche Transaktionen erfasst, an denen gar kein Nicht-EU-Unternehmen beteiligt ist. Überdies bestehen derzeit weder Ausnahmen für einzelne Nicht-EU-Staaten noch für bestimmte Sektoren. 

Ausblick

Die Kommission wird in naher Zukunft einen Entwurf einer Durchführungsverordnung vorlegen, in der die anzuwendenden Vorschriften und Verfahren erläutert werden, einschließlich Anmeldeformularen für Zusammenschlüsse und öffentliche Vergabeverfahren, Vorgaben zur Berechnung von Fristen, für die Akteneinsicht und für die Vertraulichkeit von Informationen. Die Wirtschaftsbeteiligten haben dann vier Wochen Zeit, um Anmerkungen zu diesem Entwurf zu übermitteln, bevor die Durchführungsvorschriften Mitte 2023 endgültig verabschiedet werden sollen.

Im binnenmarktrelevanten Wettbewerb dürften die kommenden Jahre maßgeblich durch die neue Verordnung geprägt werden. Die Fallpraxis der Kommission und erste Gerichtsentscheidungen werden zeigen, ob die neuen Regelungen effektiv das angestrebte „level playing field“ im Binnenmarkt herstellen können. Der Begriff der „wettbewerbsverzerrenden drittstaatlichen Subvention“ muss konturiert und die Kriterien des „balancing test“ müssen rechtssicher entwickelt werden. Ein „level playing field“ wird jedenfalls eine unabdingbare Voraussetzung für einen starken und prosperierenden, zugleich aber auch fairen und zukunftsfähigen Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt sein. 

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