OLG Düsseldorf legt dem EuGH vor: Vergabeverfahren über Schnellladesäulen ausgesetzt
Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG Düsseldorf) hat am 16. Juni 2023 das Vergabeverfahren über die Bereitstellung von Schnellladeinfrastruktur auf bewirtschafteten Rastanlagen an Bundesautobahnen gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b) und Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausgesetzt. Die vom EuGH zu beurteilende Vorlagefrage hat Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Änderung einer 1998 erteilten, damals vergaberechtsfreien Dienstleistungskonzession; insbesondere, ob und in welchem Umfang die Änderung der bereits erteilten Konzession gemäß § 132 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zulässig ist. Die Auswirkungen sind mittelbar von großer Bedeutung für den gerade erst entstehenden Markt für Schnellladeinfrastruktur elektrischer Fahrzeuge.
Hintergrund: Das deutsche Schnellladegesetz und durch staatliche Beihilfen subventionierte Schnellladeinfrastruktur
Hintergrund ist u.a. das im Jahr 2021 in Kraft getretene „Gesetz über die Bereitstellung flächendeckender Schnellladeinfrastruktur für reine Batterieelektrofahrzeuge (Schnellladegesetz – SchnellLG)“. Mit dem Schnellladegesetz beabsichtigt die Bundesregierung, den bundesweit flächendeckenden, bedarfsgerechten Aufbau von öffentlich zugänglicher Infrastruktur für das schnelle Laden von reinen Batterieelektrofahrzeugen zu gewährleisten.
Dazu kommt, vor dem Hintergrund des „Green Deal“ der Europäischen Kommission und dem Vorhaben der Bundesregierung, bis 2026 insgesamt 200 Milliarden Euro in den Klimaschutz und die klimaneutrale Transformation investieren, die Möglichkeit einer staatlichen Förderung von bis zu 20.000,00 € pro DC-Schnell-Ladepunkt mit mehr als 100 Kilowatt und sogar bis zu 100.000,00 € pro Netzanschluss an das Mittelspannungsnetz pro Standort hinzu.
Diese Förderung hatte die Bundesrepublik als staatliche Beihilfe bei der Europäischen Kommission angemeldet, die das Beihilfenprogramm „Förderrichtlinie „Öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Deutschland““ Ende 2022 per Beschluss (SA.104749 (2022/N)) genehmigte. Diese Förderrichtlinie hat ein Gesamtvolumen von 1,8 Milliarden Euro. Sie steht nach der Auffassung der Europäischen Kommission mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang und trägt dazu bei, die Ziele des europäischen Grünen Deals und des Pakets „Fit für 55“ der Kommission zu verwirklichen. Die Maßnahme sieht die Einrichtung von 8500 Schnellladepunkten vor, an denen es möglich sein wird, Elektrofahrzeuge innerhalb von 15 bis 30 Minuten aufzuladen. Betroffen sind rund 900 Standorte entlang den Autobahnen in Deutschland, an denen es bislang keine Schnellladepunkte gibt oder wo die vorhandenen Ladepunkte nicht ausreichen, um den erwarteten Bedarf zu decken. Um die Bereitstellung der Ladeinfrastruktur zu beschleunigen, werden Fördermittel in Form von direkten Zuschüssen und laufenden Zahlungen zur Deckung eines Teils der Betriebskosten gewährt. Die Beihilfeempfänger sollen entsprechend der Notifizierung Unternehmen mit Erfahrung in der Errichtung und im Betrieb von Ladeinfrastruktur sein, die im Rahmen einer Ausschreibung ausgewählt werden.
Die Kommission hat die Maßnahme nach den EU-Beihilfevorschriften geprüft, insbesondere nach Artikel 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV sowie nach den Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2022. Dieser Ausnahmetatbestand des Artikel 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV ermöglicht es den EU-Mitgliedstaaten, die Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige unter bestimmten Voraussetzungen zu fördern, in diesem Fall nun den Wirtschaftszweig der Schnellladeinfrastruktur.
Dieser gerade erst entstehende Markt für Schnellladeinfrastruktur ist daher kurz-, aber auch mit dem Ziel einer klimaneutralen Mobilität bis 2035 langfristig hochlukrativ und sicherlich auch deswegen Gegenstand des laufenden Rechtsstreits vor dem OLG Düsseldorf.
Ausgangspunkt und Rechtsfragen des Rechtsstreits
In den Jahren 1996 bis 1998 schloss der Bund ohne vorangegangene Ausschreibung im Wege der Inhouse-Vergabe mit einer zu 100 % in ihrem Anteilsbesitz stehenden Gesellschaft eine Vielzahl von Konzessionsverträgen über die Bewirtschaftung von Tankstellen und Raststätten an den Bundesautobahnen mit einer Laufzeit von 40 Jahren. In den Folgejahren wurde die Bundesgesellschaft materiell privatisiert, zu 100% in private Hand überführt und in „Tank & Rast“ umbenannt. Tank & Rast halten bis heute nahezu alle Konzessionsverträge für Nebenbetriebe an Bundesautobahnen.
Die Antragsgegnerin des in Rede stehenden Rechtsstreits ist nach § 5 Abs. 3 SchnellLG nunmehr verpflichtet, dem Inhaber einer Konzession die eigenwirtschaftliche Übernahme von Errichtung, Unterhaltung und Betrieb der an diesem Standort geplanten Schnellladepunkte anzubieten. Sie schloss daher mit Tank & Rast eine entsprechende Ergänzungsvereinbarung zu den seit 1998 bestehenden Konzessionsverträgen, die als den Vorgaben des § 132 GWB entsprechend bewertet wurde, sodass diese nicht als ausschreibungspflichtig angesehen wurde. Dieser Vorgang wurde anschließend gem. § 135 Abs. 3 GWB als freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung bekanntgemacht.
Zwei Betreiber von Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge, darunter ein großer US-amerikanischer Elektroautobauer, beantragten daraufhin nach fristgerechter Rüge die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Zu dessen Begründung führten sie aus, der Abschluss der Ergänzungsvereinbarung ohne vorherige EU-weite Bekanntmachung sei vergaberechtswidrig und die geschlossene Ergänzungsvereinbarung von Anfang an unwirksam.
Greift § 132 GWB ein oder ist ein neues Vergabeverfahren notwendig?
Die Antragsteller führen an, dass die Voraussetzungen einer nach § 132 Abs. 2 GWB zulässigen Auftragsänderung nicht vorliegen. Zum einen sei § 132 GWB auf die getroffene Ergänzungsvereinbarung per se nicht anwendbar, weil die 1998 erteilten Konzessionen über den Bau und Betrieb von Nebenbetrieben nicht in einem gebotenen wettbewerblichen Verfahren ausgeschrieben worden seien. Dies hätte nach den seinerzeit gültigen Regeln nach vergaberechtlichen Vorgaben, jedenfalls aber als Dienstleistungskonzession in einem dem Grundsätzen der Transparenz und Nichtdiskriminierung entsprechenden wettbewerblichen Verfahren, auf der Grundlage des entsprechenden EU-Primärrechts ausgeschrieben werden müssen. Würde die Ergänzungsvereinbarung nun auf § 132 GWB gestützt, perpetuiere dies einen seit dem bestehenden vergaberechtswidrigen Zustand, denn eine mit § 132 GWB einhergehende ausschreibungsfreie Auftragsänderung lasse sich nur auf eine vergaberechtskonforme Auftragserteilung in einem ursprünglichen Vergabeverfahren stützen.
Zum anderen seien Ausnahmetatbestände nach § 132 Abs. 2 GWB nicht einschlägig und es handele es sich um eine wesentliche Änderung der ursprünglichen Konzessionsverträge gemäß § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 3 GWB, sodass gemäß § 132 Abs. 1 S. 1 GWB ein neues Vergabeverfahren notwendig sei. Die Ergänzungsvereinbarung begründe erstmalig eine Verpflichtung zum Betrieb von Schnellladeinfrastruktur; Soweit sich im Rahmen der ursprünglichen Konzession Verpflichtungen zur Bereitstellung einer Betankungsinfrastruktur fänden, könne damit nicht das – grundlegend verschiedene – Laden von E-Fahrzeugen gemeint sein (Nr. 2). Technisch seien beide Vorgänge mitsamt der dahinterstehenden Infrastruktur nicht vergleichbar. Der Umfang der ursprünglichen Konzession würde damit erheblich ausgeweitet (Nr. 3), da Elektroladesäulen eine neue Erlösquelle darstellen – ein neues Geschäftsfeld, das auch externen Bewerbern offenstehen sollte.
Überdies sei § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 c) GWB einschlägig. Dieser legt fest, dass eine wesentliche Änderung insbesondere dann vorliegt, wenn mit der Änderung Bedingungen eingeführt werden, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten. Dies sei laut den Antragstellern gegeben.
Die Antragsgegnerin hielt dem entgegen. Für § 132 GWB komme es gar nicht auf die Wirksamkeit der ursprünglich geschlossenen Verträge an, sondern auf den laufenden Vertragsvollzug, i.e. ob im Zeitpunkt der Änderung ein wirksames Konzessionsverhältnis vorliege. Dies sei der Fall, zumal die Änderungen auch nicht wesentlich im Sinne des § 132 Abs. 1 GWB seien. § 132 GWB sei unproblematisch über die Verweisung in § 154 Nr. 3 GWB auf die Bestandskonzessionsverträge anwendbar.
Die erstinstanzlich zuständige Vergabekammer des Bundes hat den Nachprüfungsantrag der Antragsteller mit Beschluss vom 15. Juni 2022 (VK 2 – 54/22) zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Vergabekammer unter anderem aus, die Ergänzung der ursprünglichen Konzessionsverträge sei eine nach § 132 GWB zulässige Auftragsänderung während der Vertragslaufzeit und daher nicht ausschreibungspflichtig. Jedenfalls sei die Notwendigkeit einer Schnellladeinfrastruktur im Jahr 1998 und die Entwicklung hin zu Elektromobilität nicht mit der dafür erforderlichen Klarheit vorhersehbar gewesen. Fraglich ist, inwieweit diese Argumentation durchgreift. Würde man Grundverträge freihändig um immer neue Leistungen erweitern, die zum Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, würde das eine erhebliche Einschränkung des Wettbewerbs um öffentliche Aufträge bedeuten. Liegt kein Fall des § 132 Abs. 2 GWB vor, bei dem es ohnehin nicht auf eine Wesentlichkeit der Änderung einkommt, wurde für die anderen Fälle als Korrektiv die Einschränkung in § 132 Abs. 1 GWB eingefügt, dass es sich bei der Auftragsänderung nicht um eine wesentliche Änderung handeln darf. So hat der Gesetzgeber den Konflikt zwischen vertragsrechtlicher Flexibilität/ Privatautonomie und einer Umgehungsgefahr der Ausschreibungspflicht gelöst.
Hieran dürfte sich der Rechtsstreit entscheiden.
Gegen diese Entscheidung haben die mit ihrem Nachprüfungsantrag unterlegenen Antragsteller daher fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Der Vergabesenat des OLG Düsseldorf ist nun der Auffassung, vor einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde müsse geklärt werden, ob eine Ergänzung der Konzessionsverträge ohne Ausschreibung in Fällen wie dem vorliegenden vergaberechtsgemäß und mit dem europäischen Recht vereinbar ist.
Die Vorlagefrage
Das OLG Düsseldorf möchte nun vom EuGH folgendes wissen:
„Ist Art. 72 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 2014/24/EU dahingehend auszulegen, dass in seinen Anwendungsbereich auch solche öffentlichen Aufträge fallen, die zuvor außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2014/24/EU an eine Inhouse-Einrichtung vergeben worden sind, jedoch die Voraussetzungen der Inhouse-Vergabe im Zeitpunkt der Vertragsänderung nicht mehr vorliegen?“
Artikel 72 regelt Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit und stellt den unionsrechtlichen Hintergrund von § 132 GWB dar. Nach Abs. 1 können Aufträge und Rahmenvereinbarungen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit den sonstigen Vorgaben aus der Richtlinie u.a. dann geändert werden, wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:
„i) Die Änderung wurde erforderlich aufgrund von Umständen, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber nicht vorhersehen konnte;
ii) der Gesamtcharakter des Auftrags verändert sich aufgrund der Änderung nicht;
iii) eine etwaige Preiserhöhung beträgt nicht mehr als 50 % des Werts des ursprünglichen Auftrags oder der ursprünglichen Rahmenvereinbarung. Werden mehrere aufeinander folgende Änderungen vorgenommen, so gilt diese Beschränkung für den Wert jeder einzelnen Änderung. Solche aufeinander folgenden Änderungen dürfen nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, diese Richtlinie zu umgehen;“
Wie geht es nun weiter? Ein Ausblick
Entscheidet der EuGH, dass solche wie dem in Rede stehenden öffentlichen Auftrag unter Art. 72 der RL 2014/24/EU fallen, wird das OLG Düsseldorf die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der VK Bund zurückweisen.
Entscheidet der EuGH anders, wird das OLG Düsseldorf der sofortigen Beschwerde stattgeben, die Entscheidung der VK Bund gemäß § 178 S. 1 GWB aufheben und gemäß § 178 S. 2 GWB entweder selbst entscheiden oder die Sache an die VK Bund zurückverweisen. Dieses Ergebnis würde dann bedeuten, dass es für die Schnellladeinfrastruktur an deutschen Autobahnen künftig Ausschreibungen gäbe, an denen alle interessierten Marktteilnehmer teilnehmen können. Derzeit wird die nur an Tank & Rast und deren Partner vergeben.
Aus Konsumentensicht ist ein stärkerer Wettbewerb an den stark frequentierten Rastplätzen sicherlich wünschenswert. Der Ausbau von Schnellladeinfrastruktur dürfte deutlicher schneller erfolgen und mehr Angebot sorgt üblicherweise für geringere Gebühren. Die Monopolkommission, ein Beratungsgremium der Bundesregierung, kritisierte den Ist-Zustand im „8. Sektorgutachten gemäß § 62 EnWG“ bereits im Jahr 2021:
„Der Wettbewerb bei den Ladesäulen an den Bundesautobahnen wird durch die monopolähnliche Stellung von Tank & Rast erschwert.“
Die Folge seien überhöhte Strompreise, was Tank & Rast aber bestreitet. Es bleibt also mit Spannung zu erwarten, wie der EuGH die Vorlagefrage entscheidet und was das OLG Düsseldorf im vorliegenden Rechtsstreit daraus macht.
Abhängig davon ist auch die Beantwortung der Frage, ob und in welcher Höhe Tank & Rast überhaupt Fördermittel aus dem Beihilfenprogramm „Förderrichtlinie „Öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Deutschland““ erhalten würde, wenn die Beschwerdeführer vor dem OLG Düsseldorf mit ihrer sofortigen Beschwerde unterliegen:
Deutschland hat nach der Auffassung der zuständigen Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission in der notifizierten Beihilfenmaßnahme ausreichende Vorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass die Regelung nur begrenzte Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel innerhalb der EU haben wird. Die Regelung steht allen in dem Wirtschaftszweig tätigen Unternehmen offen, und die Beihilfeempfänger werden in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren ausgewählt. Darüber hinaus sicherte Deutschland zu, dass die deutschen Behörden sicherstellen, dass die erhobenen Preise mit den Preisen vergleichbar sind, die bei ähnlichen bestehenden Infrastrukturen verlangt werden.
Entspricht eine Auftragsänderung gemäß § 132 GWB den beihilfenrechtlichen Anforderungen an ein offenes, transparentes und diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren? Das letzte Wort im Zusammenhang mit Schnellladeinfrastruktur wird also auch nicht mit der Entscheidung des EuGH oder des OLG Düsseldorf gesprochen sein. Wir werden weiter berichten.