Weitere Sanktionen gegen Russland – Sanktionspaket Nr. 8
Am 6. Oktober 2022 hat die EU als unmittelbare Reaktion auf die Durchführung der Scheinreferenden in den besetzten Gebieten/Oblasten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja ihr mittlerweile achtes Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet.
Das achte Sanktionspaket besteht aus
- der Verordnung (EU) 2022/1905 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 (VO 269/2014), durch die personenbezogene Sanktionen gegen die in Anhang I der VO 269/2014 aufgeführten Personen, Organisationen und Einrichtungen (POE) festgesetzt werden (in Gestalt des Einfrierens ihrer in der EU belegenen Vermögenswerte und eines Verbots, ihnen Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen),
- der Durchführungsverordnung (EU) 2022/1906, durch die besagter Anhang I der VO 269/2014 um weitere POE ergänzt wurde,
- Verordnung (EU) 2022/1904, durch die die Russland-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (VO 833/2014) um weitere güter- und dienstleistungsbezogene Beschränkungen gegen Russland bzw. in Russland ansässige POE erweitert wurde, und
- die Verordnung (EU) 2022/1903, durch die die in der Verordnung (EU) 2022/263 niedergelegten Beschränkungen in Bezug auf die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk auch auf die nicht unter ukrainischer Kontrolle stehenden Gebiete der Regionen Cherson und Saporischschja erstreckt wurden.
Neben der Ausweitung der personenbezogenen Beschränkungen gemäß der VO 269/2014 dürften insbesondere die neuen güter- und dienstleistungsbezogenen Beschränkungen in der VO 833/2014 für Wirtschaftsbeteiligte in der EU relevant sein.
Neue Güterlistungen und Änderungen der güterbezogenen Beschränkungen
Nach dem neu eingefügten Art. 2aa ist es künftig verboten, die in Anhang I der Feuerwaffen-VO (EU) 258/2012 aufgeführten Feuerwaffen, dazugehörige Teile, wesentliche Komponenten und Munition, mit oder ohne Ursprung in der EU, mittelbar oder unmittelbar an natürliche oder juristische POE in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen sowie darauf bezogene Dienstleistungen oder Finanzierungen zu erbringen. Bereits zuvor unterlag die Lieferung dieser Güter –nicht aber die Bereitstellung damit im Zusammenhang stehender Dienstleistungen oder Finanzierungen – einem Genehmigungserfordernis nach der Feuerwaffen-VO (EU) 258/2012.
Darüber hinaus wurden weitere Güter in den Anhängen der VO 833/2014 gelistet, mit der Folge, dass künftig ihr Verkauf und ihre Ausfuhr nach Russland (Erweiterung der Anhänge VII, XI und XXIII) bzw. ihr Kauf bzw. ihre Einfuhr aus Russland (Erweiterung der Anhänge XVII und XXI) sowie die Erbringung darauf bezogener Dienstleistungen und Finanzierungen grundsätzlich verboten sind.
Anders als bei früheren Erweiterungen der Güterlisten, wurden teilweise hinsichtlich der neu gelisteten Güter neue Altvertragsregelungen niedergelegt und zwar in Bezug auf neu gelistete Güter in Anhang XI (Güter der Luft- oder Raumfahrtindustrie), Anhang XVII (Eisen- und Stahlerzeugnisse), Anhang XXI (wichtige Exportgüter) und – teilweise – Anhang XXIII (Industriegüter; neue Altvertragsregel für Kohle und Kohleerzeugnisse) (vgl. Art. 3c Abs. 5; Art. 3g Abs. 3; Art. 3i Abs. 3b; Art. 3k Abs. 3a). In Bezug auf die neu in Anhang VII aufgenommenen Güter ist hingegen keine neue Altvertragsregel vorgesehen. Teilweise sind die neu in Anhang VII aufgenommen Güter aber auch in den Anhängen zur Anti-Folter-Verordnung (EU) 2019/125 gelistet (die neu in Teil A, Kategorie VIII aufgenommenen Gegenstände), so dass ihre Ausfuhr bereits zuvor Beschränkungen unterlag. Interessant ist die Hinzufügung eines Teils B in Anhang VII, in dem Güter (Halbleiterbauelemente, elektronische integrierte Schaltungen und Fotoapparate) aufgeführt sind, die anhand ihres KN-Codes identifiziert werden und nicht – wie die Güter in Teil A des Anhangs VII – anhand ihrer Warenbeschreibung, was den Wirtschaftsbeteiligten die unternehmensinterne Umsetzung erleichtern dürfte. In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass die Europäische Kommission in ihren FAQ eine aktualisiert Korrelationstabelle für Anhang VII-Güter veröffentlicht hat, die jedoch mit Vorsicht anzuwenden ist, da sie lediglich ein nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel darstellt und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
In Bezug auf güterbezogene Beschränkungen und darauf bezogene Dienstleistungs- und Finanzierungsverbote wurden durch die VO (EU) 2022/1904 zudem neue Befreiungs- und Ausnahmetatbestände eingefügt. Diese betreffen insbesondere die zivile nukleare Nutzung (vgl. Art. 3g Abs. 7, Art. 3i Abs. 3c, Art. 3k Abs. 5 lit. c VO 833/2014).
Eine weitere Neuerung mit weitreichenden Auswirkungen ist die Einführung einer Verarbeitungsregel für Eisen- und Stahlprodukte des Anhangs XVII gemäß Art. 3g Abs. 1 lit. d VO 833/2014. Danach sollen nach Ablauf einer Übergangsfrist (je nach Produkt der 30. September 2023, der 1. April 2024 oder der 1. Oktober 2024) Kauf und Einfuhr der in Anhang XVII aufgeführten Eisen- und Stahlprodukte auch dann verboten sein, wenn es sich um nicht-russische Ursprungsware handelt, die in einem Drittland unter Verwendung von Vormaterialien mit russischem Ursprung hergestellt wurden. Unklar ist noch, wie ein solches Verbot in der Praxis durchgesetzt und überwacht werden soll und welche Prüf- und Nachforschungspflichten den Wirtschaftsteilnehmern insoweit auferlegt werden sollen.
Vorbereitung der Einführung eines „Ölpreisdeckels“
Durch die Verordnung (EU) 2022/1904 wurde zudem der Art. 3n VO 833/2014, der Beschränkungen für Dienstleistungen Finanzierungen im Zusammenhang mit Kauf, Einfuhr und Verbringung von in Anhang XXV aufgeführten Rohöl und Erdölerzeugnissen mit Ursprung Russland oder ausgeführt aus Russland niederlegt, grundlegend geändert. Während nach der bis dahin geltenden Fassung zwar die Erbringung von Dienstleistungen und Finanzhilfen im Zusammenhang mit der Beförderung von russischem Öl nach Ablauf der Übergangsfristen verboten sein sollte, nicht aber die Beförderung selbst, sieht der neu gefasste Art. 3n nunmehr vor, dass nach Ablauf der Übergangsfristen (5. Dezember 2022 für Rohöl und 5. Februar 2023 für Erdölerzeugnisse) sowohl der Transport als auch darauf bezogene Dienstleistungen/Finanzhilfen grundsätzlich verboten sind, wenn der Einkaufspreis oberhalb eines festgelegten Preises liegt (Art. 3n Abs. 1 und 4) und grundsätzlich erlaubt, wenn der Einkaufspreis darunter liegt (Art. 3n Abs. 6 lit. a). Eine entsprechende Preisobergrenze für russisches Öl muss jedoch durch den Rat erst noch beschlossen werden. Bis zu einem solchen Beschluss sollen die bisherigen Regelungen zunächst fortgelten. Aktuell ist geplant, dass die G7-Staaten plus Australien die Modalitäten der Preisobergrenze bis Mitte November ausarbeiten und der Ölpreisdeckel zum 5. Dezember 2022 in Kraft tritt. Die Änderung des Art. 3n VO 833/2014 lässt jedoch das in Art. 3m VO 833/2014 niedergelegte Einfuhrverbot für russisches Öl, das auf dem Seeweg transportiert wurde, in die EU unabhängig vom Preis unberührt.
Neue dienstleistungsbezogene Beschränkungen
Im Rahmen des achten Sanktionspakets wurden zudem, über die nach Art. 5n Abs. 1 VO 833/2014 bereits verbotenen nicht-güterbezogenen Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Buchführung, Steuerberatung, Unternehmens- und Public-Relations-Beratung hinaus, neue Verbote zur Erbringung von Dienstleistungen zugunsten der russischen Regierung oder in Russland niedergelassenen juristischen POE niedergelegt und zwar für die Bereiche Architektur und Ingenieurwesen, Rechtberatung und IT-Beratung (Art. 5n Abs. 2 VO 833/2014). Welche Art von Dienstleistungen unter die einzelnen Verbote fallen sollen, wird in Erwägungsgrund 19 der Verordnung (EU) 2022/1904 näher erläutert. Ferner hat die Europäische Kommission ihre FAQ zur Auslegung des Art. 5n mit Blick auf die neuen Verbote aktualisiert. Art. 5 Abs. 4 sieht eine Altvertragsregelung für die Erbringung von nach Art. 5n Abs. 2 verbotenen Dienstleistungen bis zum 8. Januar 2023 vor, wenn der zugrundeliegende Vertrag vor dem 7. Oktober 2022 geschlossen wurde und nicht auf andere Weise beendet werden kann. Darüber hinaus existiert eine Reihe von Ausnahmen und Befreiungen von dem Verbot, etwa wenn die Dienstleistungen zur ausschließlichen Nutzung durch in Russland niedergelassene juristische POE bestimmt sind, die mehrheitlich von juristischen POE gehalten werden, die nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates, eines EWR-Landes (Island, Norwegen und Liechtenstein), der Schweiz oder eines Partnerlandes der EU (USA, Japan, UK und Südkorea) gegründet oder eingetragen wurden.
Im Rahmen des achten Sanktionspakets wurde zudem das in Art. 5b Abs. 2 VO 833/2014 niedergelegte Verbot der Bereitstellung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Krypto-Wallets, Krypto-Konten oder der Krypto-Verwahrung zugunsten von russischen Staatsangehörigen, in Russland ansässigen natürlichen Personen oder in Russland niedergelassenen juristischen POE verschärft, indem der Schwellenwert für das Verbot aufgehoben wurde und die Erbringung derartiger Dienstleistungen nunmehr wertunabhängig verboten ist.
Neue transaktions- und transportbezogene Beschränkungen betreffend das russische Schiffsregister
Ferner wurde mit dem russischen Schiffsregister ein weiteres russisches Staatsunternehmen in Anhang XIX zur VO 833/2014 aufgenommen mit der Folge, dass das Tätigen von Geschäften mit ihm, seinen mehrheitlich gehaltenen Tochterunternehmen mit Sitz außerhalb der EU und POE, die in seinem Namen oder auf seine Anweisung handeln, nach Art. 5aa Abs. 1 VO 833/2014 künftig verboten ist. In Bezug auf die Durchführung von Transaktionen mit dem neu gelisteten russischen Schiffsregister und die Entgegenahme von Zahlungen von diesem wurden in Art. 5aa Abs. 2b und 2c neue Altvertragsregelungen niedergelegt (Erfüllung bis zum 8. Januar 2023 von vor dem 7. Oktober 2022 geschlossenen Verträgen und kein Verbot der Entgegennahme von Zahlungen aufgrund von Verträgen, die vor dem 8.1.2023 ausgeführt wurden). Daneben wurde das Verbot in Art. 3ea VO 833/2014, „russischen Schiffen“ Zugang zu Häfen oder Schleusen in der EU zu gewähren, derart erweitert, dass nach Ablauf einer Übergangsfrist zum 8. April 2023 auch solche Schiffe betroffen sein sollen, die vom russischen Schiffsregister zertifiziert sind (neuer Abs. 1a).
Zusammenfassung und Ausblick
Im Rahmen des achten Sanktionspakets wurde eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, die spätestens nach Ablauf der vorgesehenen Altvertragsregelungen weitreichende Auswirkungen auf Wirtschaftsbeteiligte haben dürften, wie insbesondere die neuen Güterlistungen, die Einführung einer Verarbeitungsregel für Eisen-und Stahlerzeugnisse und die neuen dienstleistungsbezogenen Beschränkungen in Art. 5n Abs. 2 VO 833/2014 sowie die beabsichtigte Einführung eines „Ölpreisdeckels“. Hierauf sollten sich die betroffenen Unternehmen frühzeitig vorbereiten.