Unterbringung von Flüchtlingen – erneute Änderungen des Bauplanungsrechts
Der Gesetzgeber hat auf die anhaltenden Flüchtlingsströme mit weiteren Änderungen des Baugesetzbuches reagiert. Wiederum innerhalb einer Rekordzeit von ca. einem Monat wurden bauplanungsrechtliche Erleichterungen für den Bau von Flüchtlingsunterkünften beschlossen, die bereits im Oktober 2015 in Kraft getreten sind.
Nachdem bereits im GvW-Newsletter für September 2015 über die bauplanungsrechtlichen Vereinfachungen für die Unterbringung von Flüchtlingen berichtet wurde, hat der Gesetzgeber nun erneut baurechtliche Erleichterungen auf in Gesetzesform geschaffen.
Änderungen des BauGB
Neben einigen redaktionellen bzw. klarstellenden Änderungen des zuletzt eingeführten § 246 Abs. 10 BauGB hat der Gesetzgeber nunmehr die § 246 Abs. 11-16 BauGB geschaffen. Während sich die Erleichterungen bislang in erster Linie auf Gewerbegebiete bezogen hat, können nunmehr - bis zum 31. Dezember 2019 - auch in den anderen Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung (BauNVO) (z.B. reines Wohngebiet, allgemeines Wohngebiet, Mischgebiet) Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende zugelassen werden, sofern in dem jeweiligen Baugebiet Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zulässig sind.
Darüber hinaus enthält § 246 Abs. 12 Nr. 1 BauGB eine Sonderregelung für mobile Flüchtlingsunterkünfte. Auch diese sind nunmehr (befristet auf längstens drei Jahre) in sämtlichen Baugebietstypen der BauNVO zulässig. Ferner kann für sie zukünftig auch von Festsetzungen des Bebauungsplans, wonach potentielle Standorte beispielsweise als Grünflächen ausgewiesen sind, im Befreiungswege abgewichen werden. Zudem lässt § 246 Abs. 12 Nr. 2 Bau auf längstens drei Jahre GB befristete Nutzungsänderungen zur Flüchtlingsunterbringung in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten auch dann zu, wenn Anlagen für soziale Zwecke dort generell unzulässig sind.
§ 246 Abs. 13 BauGB enthält eine Sonderregelung für Vorhaben der Flüchtlingsunterbringung im Außenbereich. Insbesondere sind hier wiederum mobile Flüchtlingsunterkünfte (befristet auf längstens drei Jahre) sowie die Umnutzung bereits bestehender und zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen zulässig. Im Hinblick auf die Zeit nach der Nutzung zur Flüchtlingsunterbringung stellt die Vorschrift in ihrem Satz 2 klar, dass eine spätere Nutzungsänderung nicht privilegiert ist.
Im Übrigen hat der Gesetzgeber in § 246 Abs. 14 BauGB eine Art „Notfallklausel“ geschaffen, nach welcher von sämtlichen Vorschriften des Baugesetzbuches bzw. der aufgrund des Baugesetzbuches erlassenen Vorschriften (insbesondere Bebauungspläne) abgewichen werden kann, sofern dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet einer Gemeinde nicht rechtzeitig bereit gestellt werden können.
Schließlich enthalten die neuen Vorschriften des § 246 BauGB noch verfahrensrechtliche Vorgaben, die zu einer weiteren Beschleunigung der Genehmigungsverfahren führen sollen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber mit diesen neuen Vorschriften eine sehr weitgehende bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Flüchtlingsunterkünften geschaffen hat. Er tut dies, indem er die hergebrachte Systematik der § 29 ff. BauGB für bestimmte Vorhaben fast vollständig suspendiert. Ob die damit gewünschte Lösung der Unterbringungsproblematik erreicht wird, bleibt abzuwarten. Zudem rechnen wir mit zahlreichen Rechtstreitigkeiten im Zusammenhang mit den neuen Regelungen.
Änderungen des Polizei- und Ordnungsrechts in den Ländern
Neben dem Bundesgesetzgeber sind zum Teil auch die Bundesländer tätig geworden, um eine schnellere Unterbringung von Flüchtlingen zu ermöglichen. Vorreiter hierbei sind die Länder Hamburg und Bremen, die eine Ergänzung ihrer Polizei- und Ordnungsgesetze vorgenommen haben. So wurden spezialgesetzliche Ermächtigungsnormen geschaffen, nach denen die zuständige Ordnungsbehörden – sofern nicht genügend Unterkünfte für Flüchtlinge zur Verfügung stehen und dementsprechend eine Gefahr der Obdachlosigkeit von Flüchtlingen besteht – private Grundstücke bzw. Gebäude sicherstellen und zwangsweise Flüchtlinge einweisen können. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll dies in beiden Ländern insbesondere für leerstehende Gewerbeimmobilien gelten. Festzuhalten ist freilich, dass sich eine solche Beschränkung im Wortlaut der Gesetze nicht wiederspiegelt. Vielmehr ist danach auch eine Sicherstellung leerstehenden Wohnraums durchaus denkbar.
In den Ländern, in denen eine solche spezialgesetzliche Ermächtigungsnorm nicht besteht, wird vermehrt diskutiert, ob eine „Sicherstellung“ privater Flächen und Gebäude und die zwangsweise Einweisung von Flüchtlingen auf Grundlage der allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Befugnisse möglich ist. Hierzu hat jedoch zuletzt das Verwaltungsgericht Lüneburg im Hinblick auf das Ansinnen der Stadt Lüneburg, ein leerstehendes Privatgebäude sicherzustellen, in dem ein Investor Wohnungen schaffen wollte, festgestellt, dass die Sicherstellung die „ultima ratio“ darstellen müsse (vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 9. Oktober 2015, Az.: 5 B 98/15). Zunächst müssten Gemeinden sämtliche Möglichkeiten der Unterbringung ausschöpfen. Dazu gehöre insbesondere auch die Anmietung von Wohnraum, die durchaus kostspielig sein könne. Wirtschaftliche Interessen auf Seiten der Stadt spielten dagegen keine Rolle.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass eine zwangsweise Inanspruchnahme privater Flächen für die Unterbringung von Flüchtlingen an hohe rechtliche Hürden geknüpft ist. Ob auch die spezialgesetzlichen Regelungen in Hamburg und Bremen diesen Anforderungen entsprechen und auch verfassungsrechtlich in Ordnung sind, wird sicherlich noch Gegenstand gerichtlicher Verfahren sein.
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Andreas Wolowski, LL.M. (Edinburgh)
Hamburg