Juli 2023 Blog

Weitere Privile­gier­ungen für Wind und Sonne

Im Rahmen erneuter Anpassungen des Baugesetzbuchs (BauGB) und der Baunutzungsverordnung (BauNVO) werden die Zulassungsmöglichkeiten für Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien erweitert. Unter anderem wird die Zulässigkeit sogenannter Agri-PV-Anlagen ohne entsprechenden Bebauungsplan ermöglicht.

Hintergrund

Mit Blick auf die angestrebte Energiewende und die damit einhergehende Notwendigkeit des Ausbaus von Anlagen zur klimafreundlichen Energiegewinnung hat der Gesetzgeber in den vergangenen Monaten zahlreiche baurechtliche Gesetzesnovellen verabschiedet. Dem am 1. Februar dieses Jahrs in Kraft getretenen „Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land“ folgte am 7. Juli das „Gesetz zur Stärkung der Digitalisierung im Bauleitverfahren und zur Änderung weiterer Vorschriften“. Mit den Gesetzesänderungen intensiviert der Gesetzgeber seine Bestrebungen zum Erreichen des Ziels der Treibhausgasneutralität bis zum Jahre 2045 vor dem Hintergrund des Paris-Abkommens und nationaler Klima-Vorgaben sowie zur Stärkung der Unabhängigkeit von fossilen Energieressourcen.

Fortführung der bisherigen Regelungsansätze

Im Rahmen der aktuellen Novellierungen reformiert der Gesetzgeber umfangreich die bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Anlagen zur Energiegewinnung aus den Energieträgern Wind und Sonne. Entscheidend sind vor allem die eingeführten Sonderregelungen für Windenergieanlagen an Land sowie die erweiterten Zulassungsmöglichkeiten für Solaranlagen im Außenbereich, die die weiterhin bestehenden Genehmigungsmöglichkeiten durch Begründung von Bebauungsplänen ergänzen. Dabei greift der Gesetzgeber erneut auf das bekannte Instrument der planungsrechtlichen Privilegierung zurück und knüpft an die Regelungen des „Windenergiebedarfsflächengesetzes“ (Blogbeitrag Mehr Flächen für die Erzeugung von Windenergie an Land) und die vorausgehenden Anpassungen im BauGB an (Blogbeitrag Aufwind für die erneuerbaren Energien im Baugesetzbuch). Bereits die letzte BauGB-Novelle hatte unter anderem eine planungsrechtliche Privilegierung von Freiflächenphotovoltaikanlagen im Zusammenhang mit Autobahnen und Hauptschienenwegen sowie die Zulässigkeit kleinerer Elektrolyseure für grünen Wasserstoff im unmittelbaren Zusammenhang mit der entsprechenden Energiegewinnung aus Wind und Wasser begründet.

Windenergieanlagen im planungsrechtlichen Außenbereich

Der Grundstein für die bauplanungsrechtlichen Änderungen wurde durch die Einführung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes (WindBG) gelegt. Auf Grundlage des WindBG wurde gegenüber den Ländern eine verbindliche Vorgabe von Flächenzielen in Bezug auf Windenergiegebiete (sogenannte „Flächenbeitragswerte“) eingeführt. Ziel des Gesetzes ist die ausreichende Beschaffung verfügbarer Flächen für den beschleunigten Ausbau der Windenergie an Land. Korrespondierend mit den Festsetzungen erfolgten bauplanungsrechtliche Anpassungen über die Sonderregelungen in §§ 249, 245e BauGB. Die Länder werden mittelbar auch dadurch zur Flächenausweisung gedrängt: Die regelmäßig durch entsprechende Planungen begründete Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für Windenergievorhaben außerhalb von ausgewiesenen Windenergieflächen greift ab Februar 2024 bis zum Nachweis des bundesrechtlich vorgeschriebenen Flächenanteils nicht mehr. Eine Übergangsregelung gilt für bestehende Planungen noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027. Um es aus der Sicht der Zulassungsmöglichkeiten zu beschreiben: Werden die vorgegebenen Flächen für planerisch auszuweisende Windenergieflächen nicht erreicht, dann sind Windenergieanlagen privilegiert nach Maßgaben des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zulässig, ohne dass die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB greift. Wenn die Ziele erreicht sind, dann greift zum einen wieder die Steuerungsfunktion des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Zum anderen sind Windenergieanlagen außerhalb der planerisch festgelegten Windenergiegebiete dann nur nach Maßgabe des § 35 Abs. 2 BauGB (als nicht-privilegierte) Außenbereichsvorhaben zulässig.

Einführung einer Privilegierung für Agri-PV-Anlagen im Außenbereich

Im Baugesetzbuch schafft der Gesetzgeber durch die Ergänzung des § 35 Abs. 1 Nr. 9 BauGB eine neue Genehmigungsmöglichkeit für Photovoltaikanlagen im Agrarsektor. Agri-Photovoltaikanlagen ermöglichen einen gleichzeitigen Gebrauch der Flächen zu energetischen Zwecken neben einer land- oder forstwirtschaftlichen bzw. gartenbaulichen Nutzung. Der Ausbau soll einen Beitrag zur sicheren Stromversorgung in Deutschland leisten. Nachdem bislang die Zulassung einer entsprechenden Anlage die vorherige Aufstellung eines Bebauungsplans erforderte, ist nun auch die Genehmigung ohne Bebauungsplan im Außenbereich möglich. Voraussetzung hierfür ist neben dem Erfordernis eines räumlich-funktionalen Zusammenhangs zu einem land- oder fortwirtschaftlichen Betrieb oder zu einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung, dass die Grundfläche der Anlage 2,5 Hektar nicht überschreitet. Darüber hinaus wird die Zulässigkeit auf den Betrieb einer Anlage je Hofstelle oder Betriebsstandort begrenzt. Agri-Photovoltaikanlagen sind ebenfalls von der Regel-Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bei bestehenden planerischen Ausweisungen ausgenommen.

Ergänzende Gesetzesänderungen für Solar- und Windenergieanlagen im Innenbereich

Weitere begünstigende Anpassungen für Erneuerbare-Energien-Anlagen im Innenbereich finden sich in der BauNVO.

Durch die Wortlautanpassung der Katalogaufzählungen der §§ 8, 9 BauNVO wird mit Blick auf die zulässigenNutzungen in Gewerbe- und Industriegebieten nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass zu den zulässigen Gewerbebetrieben auch Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus Solar- und Windenergie gehören.

Eine Privilegierung mit Blick auf das zulässige Maß der baulichen Nutzung von Vorhabengrundstücken wird mit der Ergänzung des § 19 BauNVO im den neuen Absatz 5 geschaffen. Demnach darf die zulässige Grundfläche in Gewerbe-, Industrie- und sonstigen Sondergebieten durch die Grundflächen von Anlagen zur Erzeugung von Strom und Wärme aus Solar- und Windenergie überschritten werden, soweit der Bebauungsplan keine entgegenstehenden Festsetzungen trifft.

Schließlich wird eine weitere Verdeutlichung der Gesetzeslage durch die Anpassung des § 14 Abs. 1 BauNVO geschaffen. Durch den Einschub des neuen Satzes 3 wird manifestiert, dass Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus allen erneuerbaren Energieträgern als untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne der Norm einzuordnen sind. Ergänzend wird mit § 14 Abs. 3 Satz 3 BauNVO eine weitere Zulassungsmöglichkeit für Solaranlagen geschaffen: In Gewerbe-, Industrie- und sonstigen Sondergebieten sind sämtliche Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie als untergeordnete Nebenanlagen zu qualifizieren, wenn der produzierte Strom vollständig oder überwiegend in das öffentliche Netz eingespeist wird und die Anlage im Vergleich zur Hauptbebauung baulich untergeordnet ist.

Ausblick

Die beschlossenen Gesetzesänderungen sind mit Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht abschließend. Bereits aktuell wird durch den Referentenentwurf für ein „Solarpaket I“ der Grundstein für weitere Anpassungen erarbeitet, mit denen weitere Hemmnisse beim Ausbau der Solarenergie beseitigt und ihr Ausbau weiter gefördert werden soll. Bereits die Bezeichnung lässt darauf schließen, dass weitere Initiativen folgen werden.

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