Überblick zum 6. Sanktionspaket
Nach langwierigen Verhandlungen beschlossen die EU-Mitgliedstaaten am 3. Juni 2022 das 6. Sanktionspaket. Die ursprünglich im Februar 2022 auf Grund der russischen Aggression gegen die Ukraine erlassenen Sanktionen, wurden damit – nach vorherigen Verschärfungen gegen Mitte und Ende März sowie im April – erneut ausgeweitet.
Brüsseler Beschlüsse und Verordnungen
Auf Grundlage von einem Durchführungsbeschluss und vier Beschlüssen (Durchführungsbeschluss (GASP) 2022/881 sowie Beschluss (GASP) 2022/882; Beschluss (GASP) 2022/883; Beschluss (GASP) 2022/884; Beschluss (GASP) 2022/885) nahm der Rat Anpassungen an den maßgeblichen Sanktionen gegen Belarus und die Russische Föderation vor. Die sowohl personen- als auch güterbezogene Verordnung (EG) Nr. 765/2006 gegen Belarus wurde durch die Durchführungsverordnung (EU) 2022/876 und die Verordnung (EU) 2022/877 erweitert. Die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 betreffend russische Personen, Organisationen und Einrichtungen wurde durch die Durchführungsverordnung (EU) 2022/878 und die Verordnung (EU) 2022/880 weiter ergänzt. Das sektorale Russlandembargo, die Verordnung (EU) Nr. 833/2014, erfuhr Anpassungen durch die Verordnung (EU) 2022/879. Die Beschlüsse und Verordnungen des 6. Sanktionspakets wurden am 3. Juni im Amtsblatt der Europäischen Union (L 153 vom 3. Juni 2022) veröffentlicht. Sie sind seit dem 3. bzw. 4. Juni 2022 in Kraft.
Öl-Embargo und Ausnahmen
Kernstück des 6. Sanktionspakets ist das Öl-Embargo. Dieses betrifft nach Auffassung der EU-Kommission 90% der Öl-Importe aus Russland. Hierfür sieht der neue Artikel 3m Abs. 1 Verordnung (EU) 833/2014 vor, dass es grundsätzlich verboten ist, Rohöl oder Erdölerzeugnisse unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, einzuführen oder zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden. Flankiert wird dieses Verbot von dem Verbot unmittelbar oder mittelbar technische Hilfe, Vermittlungsdienste, Finanzmittel oder Finanzhilfen oder andere Dienste im Zusammenhang mit dem vorgenannten Verbot zu erbringen (Artikel 3m Abs. 2). Es gelten jedoch weitreichende Ausnahmen. Artikel 3m sieht in seinem Abs. 3 Umsetzungsspielräume für kurz- und mittelfristige Ölgeschäfte vor.
Ausnahmen für Spot- und Termingeschäfte sowie den Seeweg
Für Erdöl und Öl des KN-Codes 2709 00 gilt bei Spotgeschäften eine Übergangsfrist bis zum 5. Dezember 2022, soweit sie bis dahin abgeschlossen und durchgeführt werden. Anders ist dies im Fall mittelfristiger Geschäfte (sog. Term-Verträge). Diese durften nur noch bis zum 4. Juni 2022 abgeschlossen werden und können nur noch bis zum 5. Dezember 2022 erfüllt werden. Für Erdölerzeugnisse mit KN-Code 2710 ist die Durchführung von Spotgeschäften noch bis zum 5. Februar 2023 möglich. Für langfristige Geschäfte gelten dieselben Fristen wie für Güter der KN-Codes 2709 00. Auch für solches Rohöl und Erdölerzeugnisse, die auf dem Seeweg transportiert werden, gilt eine Ausnahme, wenn diese Waren ihren Ursprung nicht in Russland haben, sondern lediglich von dort verbracht werden.
Die Ausnahmevorschriften in Artikel 3m Abs. 3 sind Folge eines Kompromisses zwischen den Mitgliedsländern und dienen dazu, die Versorgungssicherheit in der Übergangsphase zu gewährleisten. Gerade die mittelfristigen Termingeschäfte sichern die Versorgung zu vorab festgelegten Preisen und bieten der EU damit Schutz vor weiter steigenden Preisen an den Spotmärkten.
Ausnahmen für Mitgliedstaaten und Erdöl aus Pipelines
Zuletzt wurden weitreichende Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten und für Erdöl, das durch Pipelines nach Europa gelangt, vereinbart. Erdöl mit KN-Codes 2709 00, das durch Pipelines nach Europa gelangt, ist bis auf weiteres gemäß Artikel 3m Abs. 3 lit. d) von den Verboten ausgenommen. Polen und Deutschland, die beide über einen direkten Zugang zu einer Erdölpipeline aus Russland verfügen, haben angekündigt, von dieser Ausnahme selber nicht profitieren zu wollen. Eine rechtsgültige Umsetzung dieses Verzichts steht noch aus.
Pipeline-Öl und daraus gewonnene Erdölerzeugnisse dürfen gemäß Artikel 3m Abs. 8 UAbs. 1 nicht in andere Mitgliedstaaten verkauft und weitertransportiert werden. Zudem beinhalten die Abs. 5 und 6 des Artikel 3m besondere Regelungen für Kroatien und Bulgarien. Die dortigen Behörden können noch bis Ende 2024 bzw. 2023 Ausnahmen für bestimmte Geschäfte zulassen.
Dienstleistungen zur Unterstützung von Öl-Transporten
Darüber hinaus wird es Wirtschaftsteilnehmern gemäß Artikel 3n Verordnung (EU) 833/2014 untersagt, den Transport von Rohöl und Erdölerzeugnisse in Drittländer – auch auf dem Seeweg – zu versichern, zu finanzieren oder auf sonstige Weise unmittelbare oder mittelbare Hilfe bei der Beförderung zu leisten. Dadurch soll es für Russland besonders schwierig werden, weiterhin Rohöl und Erdölerzeugnisse in Drittstaaten zu exportieren. Die Regelung gilt nicht für Altverträge (Abschluss vor dem 4. Juni 2022), wenn diese bis zum 5. Dezember 2022 erfüllt werden oder wenn die Güter nur verladen bzw. umgeladen wurden und keinen Ursprung in Russland haben. Von Artikel 3n ist jedoch nicht die Beförderung von Rohöl und Erdölerzeugnissen gemäß Anhang XXV in Drittstaaten selbst erfasst.
Güterbezogene Embargos
Zudem wurden weitere Güter in Anhang VII der Verordnung (EU) 833/2014 aufgenommen, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen. Es handelt sich hauptsächlich um Chemikalien, die in der Waffenproduktion verwendet werden können.
Medienbann
Mit Artikel 2f der Verordnung (EU) 833/2014 i. V. m. Anhang XV ergreift die EU Maßnahmen gegen russische Desinformation. Die Ausstrahlung von Sendeinhalten der drei russischen Medienhäuser Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International oder die Ermöglichung dessen, wird untersagt. Zuvor waren nur die verschiedenen europäischen Ableger von RT-Russia Today von dem Verbot betroffen.
Darüber hinaus wurde mit dem neuen Abs. 3 des Artikels 2f der Verordnung (EU) 833/2014 ein Verbot geschaffen, in Inhalten oder Ausstrahlungen der gelisteten Medienhäuser für Produkte oder Dienstleistungen zu werben.
Weitere SWIFT-Ausschlüsse
Auch der SWIFT-Ausschluss aus Artikel 5h der Verordnung (EU) 833/2014 wurde ausgeweitet. Es sind nun auch Russlands größte Bank, die Sberbank, sowie die Credit Bank of Moscow und die JSC Rosselkhozbank in Anhang XIV gelistet. Es steht zu erwarten, dass dies den Zahlungsverkehr mit Russland weiter verkompliziert.
Betreffend Belarus wurde der Anhang XV zu Artikel 1zb Verordnung (EG) 765/2006 um die Belinvest (Belarussische Bank für Entwicklung und Wiederaufbau) erweitert. Damit sind nun vier belarussische Banken in Anhang XV gelistet und damit vom Zahlungsverkehr mit SWIFT ausgeschlossen.
Verbot von Prüfungs- und Beratungsleistungen
Gemäß des neu hinzugefügten Artikel 5n der Verordnung (EU) 833/2014 ist es verboten, Dienstleistungen für die russische Regierung oder an in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen (POEs) in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Unternehmens- und Public-Relation-Beratung zu erbringen. Erfasst sind ausdrücklich auch die Bereiche Abschlussprüfung, Buchführung und Steuerberatung. Ausnahmen von diesem Verbot befinden sich in den Abs. 2, 3 und 4 des Artikels 5n. Somit ist die Erfüllung von Altverträgen bis zum 4. Juni 2022 sowie Dienstleistungen an POEs, die sich unter der alleinigen oder gemeinsamen Kontrolle einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten oder eingetragenen POE befinden, verboten. Eine Ausnahme von diesem Verbot besteht, soweit die Dienstleistung für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung in Gerichtsverfahren und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf unbedingt erforderlich ist.
Neue Listungen
Der Anhang I der Verordnung (EU) 269/2014 wurde erneut um 65 natürliche Personen und 18 juristische Personen erweitert. Neu gelistet wurden vor allem hochrangige Militärangehörige und andere Personen, die in Butscha Kriegsverbrechen begangen oder die Belagerung der Stadt Mariupol zu verantworten haben. Bei den 18 Organisationen handelt es sich hauptsächlich um im Militär- und Fahrzeugbereich tätige Unternehmen, die Ausrüstung und Software, die für die Angriffe Russlands gegen die Ukraine verwendet werden, herstellen. Gelistet ist nun etwa der größte russischen LKW-Hersteller KAMAZ und die größte Wertpapierverwahrstelle: „Nationaler Zentralverwahrer (National Settlement Depository – NSD)“. Sie war die einzige russische Wertpapierverwahrstelle, die auf dem internationalen Finanzmarkt tätig war.
Damit sind nun insgesamt 1.175 natürliche Personen sowie 101 POEs gelistet. Sie alle sind von Bereitstellungsverboten aus Artikel 2 der Verordnung betroffen; wirtschaftliche Ressourcen und Gelder dürfen ihnen nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Ihre Vermögen in der Union werden eingefroren.
Ausweitung der Listungen für Belarus
Der sektorale Anhang V der Verordnung (EG) 765/2006 wurde ebenfalls erweitert, sodass nun 25 Personen Organisationen und Einrichtungen gelistet sind. Es handelt sich um militärische Endnutzer. Für Dual-Use Güter, die an diese Personen exportiert werden soll, werden keine Ausnahmegenehmigungen mehr erteilt. Gleiches gilt für Genehmigungen von Gütern die in Anhang Va gelistet sind. Ausnahmen sind nur in sehr engen Grenzen möglich.
Anhang I der Verordnung (EG) 765/2006 umfasst nun insgesamt 195 natürliche Personen sowie 35 juristische Personen. Sie unterfallen gemäß Artikel 2 ebenfalls dem Bereitstellungsverbot und ihre Vermögen in der Union werden eingefroren; es dürfen ihnen weder Gelder noch wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Zudem wurden auch für Belarus die Anordnung getroffen, dass Erträge aus Sanktionsverstößen einzuziehen sind (neuer Satz 3 des Artikel 9 Abs. 1 Verordnung (EG) 765/2006).
Erstes Gesetz zur effektiveren Durchsetzung von Sanktionen
Über das 6. Sanktionspaket der EU hinaus ist am 24. Mai 2022 das „Erste Gesetz zur effektiveren Durchsetzung von Sanktionen (Sanktionsdurchsetzungsgesetz I)“ in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes, das insbesondere Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes enthält, ist die Gewährleistung eines „wirkungsstarken operativen Vollzugs der Sanktionen“. Dafür werden neue Befugnisse geschaffen, um Eigentumsverhältnisse aufzuklären und Vermögenswerte sicherzustellen. Weitere Änderungen des Geldwäschegesetzes, des Kreditwesengesetzes und des Wertpapierhandelsgesetzes sollen den Informationsaustausch zwischen den Behörden stärken.
Der neue § 9a AWG enthält eine nicht abschließende Aufzählung von Eingriffsmaßnahmen, darunter auch die Durchsuchung von Geschäfts- und Betriebsräumen, zur Ermittlung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen, die nach EU-Sanktionsrecht „eingefroren“ sind. Bisher sind die Zuständigkeiten für diese Maßnahmen jedoch noch nicht festgelegt.
Die Behörden können eingefrorene Vermögensgegenstände sicherstellen, wenn die Gefahr eines Verstoßes gegen Sanktionsnormen besteht, § 9b AWG. Die Rechtsfolgen der Sicherstellung regelt § 9c AWG dreistufig: Sichergestellte Gegenstände werden grundsätzlich behördlich verwahrt. Ist die nicht möglich, können sie verwertet oder sogar vernichtet werden.
Zudem sind die Eigentümer „eingefrorener“ Vermögensgegenstände fortan verpflichtet, diese der Deutschen Bundesbank bzw. dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu melden. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft oder mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 EUR geahndet werden.
Zur Verbesserung des Informationsflusses zwischen den Behörden schaffen die neuen Abs. 4 und 5 des § 24 AWG die Befugnis der nach Landesrecht zuständigen Behörden (§ 13 Abs. 2a AWG), Informationen auch an andere Behörden zu übermitteln.
Eine grundlegendere Lösung zur effektiven Sanktionsdurchsetzung auf nationaler Ebene soll folgen. Der Gesetzgeber versteht das Sanktionsdurchsetzungsgesetz I als Vorgriff auf das mittelfristige Ziel, einen speziell auf die Sanktionsdurchsetzung abgestimmten Rechtsrahmen zu schaffen. Dieser Vorschlag soll – sofern die Länder dem zustimmen – auch bundeseinheitliche Zuständigkeiten enthalten.
Ausblick
Die früher an dieser Stelle geäußerte Annahme, dass Artikel 3j der Verordnung (EU) 833/2014 ein Vorbote eines Importverbotes für fossile Brennstoffe aus Russland sein könnte, hat sich bewahrheitet. Aktuell laufen Diskussionen zu einem 7. Sanktionspaket. Vor diesem Hintergrund ist Wirtschaftstreibenden zu raten, der medialen Berichterstattung weiterhin zu folgen und rechtzeitig Vorsorge für mögliche neue Einschränkungen zu treffen. Aktuell wird ein Embargo für russisches Gold diskutiert und ist bereits in der deutschsprachigen Arbeitsübersetzung des Kommuniqués der G7 vorgesehen (findet sich im englischsprachigen Original aber nicht). Laut Medienberichten sollen neue Maßnahmen zudem weiterhin die militärische Lieferkette treffen. Gleichzeitig hängt die Genehmigungspraxis der zuständigen Behörden weit hinterher und droht die unionsrechtlich vorgesehenen Erfüllungsfristen für Altverträge leer laufen zu lassen.
(Stand 29. Juni 2022)
Wir danken Referendarin Marie Seidler und Referendar Johannes Matthies für die Mitarbeit an diesem Newsletter.