Update Wasserstoff 11/2024
3. GvW Wasserstoff Round TableTagungsbericht zu den Vorträgen von++ Josef Hovenjürgen, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen und CDU-Landtagsabgeordneter++ Dr. Thomas Gößmann, Vorstandsvorsitzender FNB Gas und Vorsitzender der Geschäftsführung der Thyssengas GmbH++ Anne Zeidler, Vorsitzende der Beschlusskammer 7 der Bundesnetzagentur++ Arnold Vitez, Director und Mitglied der Geschäftsleitung der Hendricks & Schwartz GmbH++ Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement an der TU Dresden und ehemaliger Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen++ Mathias Reinemann, Director of Business Development Hydrogen bei der BP Europa SE++ Dr. Martin Theuringer, Geschäftsführer und Chefvolkswirt bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl++ Caroline Wycisk, Abteilungsleiterin Individualfinanzierung Unternehmen bei der KfW |
3. GvW Wasserstoff Round Table
Am 19. November fand im Industrieclub Düsseldorf der Wasserstoff Round Table statt, organisiert von GvW Graf von Westphalen und Hendricks & Schwartz GmbH in Kooperation mit der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas e.V. Hochkarätige Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik und Recht diskutierten unter der Leitung von Dr. Werner Schnappauf gemeinsam über die Zukunft des Wasserstoffs und die Herausforderungen auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung in Europa.
H2 – Baustein eines europäischen Energiebinnenmarkts
Keynote: Josef Hovenjürgen, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen und CDU-Landtagsabgeordneter
Im Fokus der Keynote von Herrn Hovenjürgen standen die Chancen der Wasserstoffwirtschaft für Deutschland als Wachstumsmarkt. Voraussetzung hierfür seien jedoch wettbewerbsfähige Preise, eine ausreichende Nachfrage und nicht zuletzt die notwendige Infrastruktur.
Herr Hovenjürgen verwies darauf, dass sich die industrielle Wertschöpfung im Ruhrgebiet im Vergleich zu früher verändert habe. Während die Region historisch für ihre kohlenstoffintensive Industrie bekannt gewesen sei, böten sich heute neue Potenziale, insbesondere im Bereich der Wasserstoffwirtschaft. Der Übergang zu grünen Technologien und die Entwicklung einer nachhaltigen Wasserstoff-Infrastruktur seien entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft des Ruhrgebiets.
Ein zentraler Aspekt sei die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen. Es müsse auch um die Sicherstellung von Arbeitsplätzen und Wohlstand gehen. Entscheidend sei daher, die Transformation hin zu einer klimaneutralen Industrie mit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Einklang zu bringen. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sei daher nicht nur eine nationale, sondern eine europäische Gemeinschaftsaufgabe. Nur durch enge Zusammenarbeit und den schnellen Ausbau von grenzüberschreitenden Wasserstoffpipelines und Importkapazitäten könne die notwendige Versorgungssicherheit gewährleistet werden.
Zudem müsse die Versorgungsabhängigkeit von einem einzigen Energieträger vermieden werden. Dies bedeute, neben Wasserstoff auch andere Technologien zu berücksichtigen.
H2-Kernnetz - Bedeutung für den Markthochlauf in Deutschland
Keynote: Dr. Thomas Gößmann, Vorstandsvorsitzender FNB Gas und Vorsitzender der Geschäftsführung der Thyssengas GmbH
Herr Dr. Gößmann hob in seiner Keynote hervor, dass man in Deutschland Sachen durchaus schnell planen und umsetzen könne, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten. So hätten es die Fernleitungsnetzbetreiber, die Politik und die Bundesnetzagentur geschafft, in nur 1,5 Jahren das Wasserstoff-Kernnetz zu planen, die Refinanzierung zu entwickeln und die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu verabschieden. Das sei eine große Leistung
Herr Dr. Gößmann stellte sodann die Eckpunkte des Wasserstoff-Kernnetzes vor: Die Pipelinelänge beträgt 9.040 km, bei 60 % der Pipelines wird es sich um umgewandelte Gasleitungen handeln. Die Einspeisekapazität wird bei 100 GW liegen, die Ausspeisekapazität bei 87 GW. In diesem Zusammenhang verwies Herr Dr. Gößmann darauf, dass das Wasserstoff-Kernnetz in das europäische backbone-Netz eingebettet ist und damit eine neuerliche Importabhängigkeit von einem Partner vermieden werde: Es gebe 60 GW an Bezugsmöglichkeiten, die sich auf die europäischen Nachbarländer verteilten.
Mit der Refinanzierung des Wasserstoff-Kernnetzes mithilfe des Amortisationskontos zeigte sich Herr Dr. Gößmann zufrieden, wenngleich er deutlich machte, dass den Netzbetreibern der Selbstbehalt „weh tue“.
Abschließend stellte Herr Dr. Gößmann dar, dass die Thyssengas GmbH sieben Cluster entwickelt habe, über die sie eine integrierte Wasserstoff-Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen aufbauen wolle.
Regulierung der Gasnetze
Anne Zeidler, Vorsitzende der Beschlusskammer 7 der Bundesnetzagentur
Frau Zeidler betonte, dass ein klarer Rechtsrahmen essentiell sei für den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur und den effizienten Hochlauf einer Wasserstoff-Industrie. Sie verwies darauf, dass der Gesetzgeber mit dem zweiten und dritten EnWG-Änderungsgesetz bereits viele Weichenstellungen vorgenommen habe, die sich auch mit dem europäischen Gas-Paket deckten. Insofern habe der Gesetzgeber bei der Umsetzung des Gas-Pakets bereits „vorgearbeitet“.
Sodann erläuterte Frau Zeidler übersichtlich, was die Bundesnetzagentur schon an Regelungen verabschiedet hat und woran – auch mit Blick auf noch notwendige Umsetzungen des Gas-Pakets – gerade gearbeitet wird bzw. was in Zukunft ansteht. Den Mittelpunkt bildeten dabei die Festlegungen „WANDA“ und „KANU 2.0“ sowie die Festlegungsverfahren „WasABi“ und „WaKandA“. In diesen beiden Festlegungsverfahren stellte Frau Zeidler die 2. Marktkonsultation für Ende 2024 und den Erlass der Festlegungen bis spätestens Sommer 2025 in Aussicht. Sie hob hervor, dass die Bundesnetzagentur keine Regelungen treffen wolle, die derzeit nicht notwendig seien; die Notwendigkeit weiterer Regelungen werde aber kontinuierlich überwacht. Wichtig sei zudem die Festlegung des Hochlaufentgelts, die spätestens Anfang 2025 konsultiert werden solle.
Akzeptanz für Um- und Ausbau der Gasnetze
Arnold Vitez, Director und Mitglied der Geschäftsleitung der Hendricks & Schwartz GmbH
In seinem Vortrag beleuchtete Arnold Vitez zentrale Aspekte der Kommunikation und Stakeholderbeteiligung beim Um- und Ausbau von Gasnetzen. Ein wesentlicher Punkt sei, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Lebensumfeld zunehmend aktiv mitgestalten möchten. Dabei stehe oft die sogenannte "laute Minderheit" (NIMBYs) im Fokus, die sich gegen Veränderungen in ihrer Umgebung stelle. Hier betonte Herr Vitez, dass eine differenzierte Kommunikation notwendig sei, um diese Widerstände zu überwinden. Jeder Stakeholder habe eigene Anliegen, weshalb eine strategische, feingliedrige Kommunikationsplanung unerlässlich sei. Ziel sei es, die schweigende Mehrheit zu aktivieren, indem man die verschiedenen Teilzielgruppen differenziert anspreche und Wertschätzung durch personalisierte Kommunikation vermittele.
Ein weiterer Schwerpunkt liege auf der Bedeutung des Dialogs und der frühzeitigen Beteiligung der Stakeholder. Kommunikation solle sowohl faktisch als auch emotional ansprechend und merkfähig sein. Aufsuchende Kommunikation sei ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg, indem man dorthin gehe, wo die Menschen sind. Die Präsentation warnte vor dem "Beteiligungsparadoxon", bei dem zu späte oder zögerliche Beteiligungsmaßnahmen nur schwer umzusetzen seien und folglich höhere Kosten verursachen. Frühzeitige und strategisch geplante Beteiligung sei daher entscheidend, um Projekte effektiv und kostengünstig zu realisieren.
H2 - Bedeutung für ein Industrieland wie NRW
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement an der TU Dresden und ehemaliger Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen
In einem mitreißenden Vortrag stellte Herr Prof. Dr. Pinkwart zunächst die Stärken der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland heraus: Neben exzellenter technologischer Expertise und Forschungskapazitäten genieße der Bereich eine starke politische Unterstützung. Außerdem sorge das starke Engagement der Industrie bereits für umfangreiche industrielle Anwendungen und Pilotprojekte. Aber auch Schwächen der Wasserstoffwirtschaft zeigte Herr Prof. Dr. Pinkwart auf. Probleme bereiteten vor allem die geringe Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien, der bislang langsame Infrastrukturausbau bei Pipelines und Speichern, die hohe Abhängigkeit von Importen, die bislang noch fehlenden wettbewerbsfähigen Geschäftsmodelle für die Kommerzialisierung von Wasserstoff im großen Maßstab sowie nicht zuletzt die wachsende globale Konkurrenz (v.a. aus China und den USA).
Als wichtigste Maßnahmen auf dem Weg zu einer starken Wasserstoffwirtschaft in Deutschland hob Herr Prof. Dr. Pinkwart dementsprechend zunächst den Ausbau der erneuerbaren Energien und das Vorantreiben von Power-to-X-Technologien hervor. Aber auch eine Vereinfachung der Genehmigungsverfahren für gesamte Wasserstoff-Infrastruktur mahnte er an. Besondere Bedeutung maß er überdies internationalen Kooperationen und insbesondere der Zusammenarbeit in der EU zu. Schließlich hob er die Notwendigkeit der Kostensenkung und der Marktdurchdringung bei Industrie, Verkehr und Energieversorgung. Hier komme es auch auf eine schnelle Umsetzung und die Mitnahme der Bevölkerung, etwas bei kleineren Wasserstoffprojekten im Bereich der Mobilität an. Insgesamt benötige man für den Markthochlauf eine deutlich größere Geschwindigkeit, dies erfordere Mut und die Bereitschaft für neue Technologien, aber auch Pragmatismus im Hinblick auf den vorübergehenden Einsatz „andersfarbigen Wasserstoffs“.
Markthochlauf – Anforderungen der Produzenten/Lieferanten
Mathias Reinemann, Director of Business Development Hydrogen bei der BP Europa SE
Herr Reinemann warnte vor dem Hintergrund der in Deutschland notwendigen anstehenden Investitionen (10 Mrd. Euro bis 2030) vor der andauernden Unsicherheit, die sich zunehmen auf Wasserstoffvorhaben auswirke. Sowohl die EU als auch Deutschland hätten sich in Bezug auf Wasserstoff ambitionierte Ziele gesetzt, die man zu verfehlen drohe. Zwar gebe es eine Vielzahl angekündigter Projekte. Die Anzahl der tatsächlich bereits geförderten, im Bau befindlichen oder gar der in Betrieb genommenen Projekte sei jedoch noch gering. Als Hauptgrund nannte er zunächst den Umstand, dass die prognostizierten Kosten für Wasserstoff heute deutlich oberhalb den erwarteten lägen. Für einen funktionierenden Markt sei Wasserstoff derzeit deutlich zu teuer. Die Ursachen hierfür lägen zum einen in den zu hohen Strompreisen und zum anderen in der zu geringen Kostendegression bei Elektrolyseuren.
Außerdem würden die aktuellen Anreizmechanismen zum Einsatz von Wasserstoff weder in der Mobilität noch in der Industrie ausreichend funktionieren. Im Ergebnis fehlten Anreize für wichtige Investitionsentscheidungen.
Auch Herr Reinemann plädierte daher für pragmatische Lösungen anstelle von starren „100%-Lösungen“ (z.B. bei der „Farbenlehre“) und die Schaffung von Planbarkeit für Investitionen durch regulatorische Sicherheit. Schließlich betonte er die Notwendigkeit von Vertrauen im Hinblick auf „grüne Leitmärkte“ (durch die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand) sowie ein klares Zielbild im Sinne eines konkretisierten Plans, einschließlich einer diskriminierungsfreien grünen Wirtschaft.
Markthochlauf – Anforderungen der Industrie
Dr. Martin Theuringer, Geschäftsführer und Chefvolkswirt bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl
Herr Dr. Theuringer betonte das erhebliche CO2-Minderungspotenzial der Stahlindustrie. Grüner Stahl ermögliche deutliche CO2-Minderungen auch in den Anwenderindustrien bei vergleichsweise marginalem Kostenanstieg gemessen am Endprodukt. Eine klimaneutrale Stahlindustrie benötige dafür allerdings enorme Mengen grünen Wasserstoff. Durch diesen hohen Bedarf und die hier zugleich bestehende sehr hohe CO2-Vermeidungseffizienz pro eingesetzter Tonne Wasserstoff komme der Stahlindustrie beim Wasserstoffhochlauf eine Schlüsselrolle zu. Hindernisse stellten dabei auch aus Sicht von Herrn Dr. Theuringer die derzeit zu hohen Preise für klimaneutralen Wasserstoff sowie seine unzureichende Verfügbarkeit dar.
Als Lösungsansätze betonte Herr Dr. Theuringer den beschleunigten Ausbau der Infrastruktur und Importleitungen, Pragmatismus bei der „Farbenlehre“ und eine Regulierung, um die Marktentwicklung und den Hochlauf zu fördern. Insbesondere die effektive Gestaltung von Förderprogrammen und das Schließen von Kostenlücken seien hierbei wichtig. Außerdem müsste eine ausreichende Flexibilität gewahrt werden durch die Vermeidung von Abnahmeverpflichtungen und Quoten für wasserstoffbasierte Anwendungen und eine ausreichende Sicherstellung der Erdgasnutzung solange Wasserstoff nicht wettbewerbsfähig einsetzbar sei. Zudem sei auch ein industriepolitisches Gesamtkonzept erforderlich, das für wettbewerbsfähige Strompreise, handelspolitische Absicherung (v.a. gegen globale Überkapazitäten) und die Sicherstellung eines wirksamen Grenzausgleichs und Außenschutzes sorge. Schließlich müssten „grüne Leitmärkte“ und klare Kaufanreize (u.a. durch entsprechende Vergabekriterien bei der öffentlichen Beschaffung und den Einsatz von grünem Stahl in Schlüsselsektoren) geschaffen werden.
Finanzierung des Markthochlaufs
Impulsvortrag: Rolle des Amortisationskontos, Caroline Wycisk, Abteilungsleiterin Individualfinanzierung Unternehmen bei der KfW, und anschließende Paneldiskussion mit Barbara Fischer, Geschäftsführerin FNB Gas, Dr. Martin Theuringer und Mathias Reinemann unter der Leitung von Dr. Werner Schnappauf
Zum Auftakt der Paneldiskussion gab Frau Wycisk einen Überblick über die Rolle des sogenannten Amortisationskontos für die Finanzierung der Wasserstoff-Infrastruktur und die Rolle der KfW. Gegenwärtig machten sowohl die geringe Produktion als auch die geringe Nachfrage Investitionen in die Wasserstoff-Infrastruktur so unattraktiv, dass ein staatliches Eingreifen nötig sei, um ein Marktversagen zu überwinden.
Denn die Infrastruktur stelle eine Mindestanforderung für den Wasserstoffhochlauf dar. Das Amortisationskonto soll hier Abhilfe schaffen, indem die hohen Netzkosten und geringen Umlageerlöse der Anlaufjahre ausgeglichen werden. Hierdurch werde ein grundlegender Beitrag zum Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur geleistet. Im Rahmen der anschließenden Paneldiskussion wurden neben Finanzierungsfragen v.a. noch einmal der bereits von vielen Referierenden hervorgehobenen Bedarf nach Planbarkeit und Transparenz in Bezug auf den regulatorischen Rahmen hervorgehoben. Einigkeit bestand darin, dass die Genehmigung des Wasserstoffkernnetzes einen Meilenstein darstellt, der aber zugleich lediglich ein erster Schritt auf dem Weg zu einem Wasserstoffhochlauf ist.
Nach einem Tag voller anregender Vorträge und intensiver Diskussionen rund um die Rolle von Wasserstoff im europäischen Energiebinnenmarkt bedankte sich Dr. Maximilian Emanuel Elspas im Namen der Veranstalter herzlich bei allen Referentinnen und Referenten für ihre wertvollen Einblicke und bei allen Teilnehmenden für die intensive Diskussion. Die Beiträge haben deutlich gemacht, dass Wasserstoff ein Schlüssel für die Energiewende und Versorgungssicherheit in Europa sein kann. Wir freuen uns, mit allen Beteiligten zusammen die Entwicklung des Wasserstoffmarkts aktiv voranzutreiben.